Wer prägte den Begriff
„Klassische Quadratmeile der Geologie“?

- von Friedhart Knolle -

Der Harz hat stets wie kaum ein zweites deutsches Mittelgebirge das geologisch interessierte Publikum angezogen. Nicht umsonst galt und gilt der nordwestliche Nordharzrand als die "Klassische Geologische Quadratmeile Deutschlands", wenn auch die Aufschlussdichte in diesem Gebiet heute bei weitem nicht mehr das zu bieten hat, was die Geologen der vergangenen Jahrhunderte noch gesehen haben.

In der Literatur wurden jedoch hin und wieder auch andere Gebiete wie der Raum Osnabrück oder Teile Süddeutschlands ebenfalls als „Klassische Geologische Quadratmeilen“ bezeichnet.

„Es giebt in ganz Europa, vielleicht auf der ganzen Erde, kein Gebirge, welches auf so kleinem Raume eine so große Mannigfaltigkeit von Gesteinen aufweisen kann, wie der Harz“, urteilte A. v. Groddeck 1871 in der Einleitung zu seinem Abriss der Geognosie des Harzes (Zitat nach Behme 1903).

Der preußische Harzgeologe K. A. Lossen schrieb 1889: "Der Harz gilt nach Heinrich v. Dechen's erprobtem Urteil seit Anbeginn der Geologie als ein Kleinod unter den Gebirgen der Erde und wird, wie ich hinzusetze, diesen Rang stets behaupten. Denn in ihm hat uns der Schöpfer das Buch der Natur in knapper modellklarer und meisterhaft vollendeter Form überreich im Inhalt aufgeschlagen." (Behme 1922b).

Doch wer prägte den Begriff „Klassische“ bzw. „Goldene Quadratmeile der Geologie“? Generationen von Geologen haben in Vorlesungen gehört, dass Johann Wolfgang von Goethe der Urheber dieses Begriffes sei, und auch heute noch wird diese Wortschöpfung Goethe und seiner Harzreise 1784 zugewiesen, z.B. von Mohr (1989). Doch Goethe hat nach kritischer Durchsicht der betreffenden Quellen und Literatur eine solche Formulierung niemals benutzt (Laub 2004, Radday 2004). Leider wird diese Behauptung immer noch verbreitet, u.a. im Internet. Sogar so renommierte Einrichtungen wie das Goethe-Institut (http://www.goethe.de/wis/fut/thm/geo/de1871799.htm) oder das GeoMuseum der TU Clausthal (http://geomuseum.tu-clausthal.de) fielen darauf herein.

Lange war unklar, wer denn nun der eigentliche Urheber dieser Formulierung war. Die erste nachweisbare Spur zu einer regionalgeologischen Überlegung, die sich dann später zur "Klassischen Geologischen Quadratmeile" – allerdings noch ohne Harzbezug - weiterentwickelte, führt zu Abraham Gottlob Werner (1750 – 1817). Werner war Lehrer an der Bergakademie Freiberg, begründete die Geognosie als Vorläuferin der heutigen Geowissenschaften und hatte bei seinen Studien vorwiegend den sächsischen Raum im Blick; den Harz hat er übrigens nie gesehen. Viel von Werners Wissen findet sich nicht in eigenen Schriften, sondern in denen seiner Schüler (Engelhardt 1979). Werners Ansatz war es, in dem von ihm bearbeiteten mitteldeutschen Raum aufgrund des Wissens, das der Bergbau lieferte, strukturelle Gesetzmäßigkeiten herauszuarbeiten und sie von dieser Modellregion auf andere Teile der Erde zu übertragen, um die damals noch weitgehend unklare Geologie der Erde besser zu verstehen – ein durchaus moderner, später als „klassisch“ bezeichneter Ansatz.

Abb. 1: Eines der klassischen Werke von Abraham Gottlob Werner

Einer der Schüler Werners, der auch internationale Forschungsreisen unternahm, was Werner nicht tat, war das Universalgenie Alexander von Humboldt. Ihm war Mitteldeutschland und die Harzregion nicht unbekannt; er hatte sich 1789 an der Universität Göttingen immatrikuliert und unternahm von hier aus mehrere Reisen ins Hessische und ins Eichsfeld, durch Niedersachsen und in den Harz, wo er u.a. den Brocken bestieg (Biermann 1983).

Abb. 2: Alexander von Humboldt im Alter von 89 Jahren,
porträtiert 1859 von Julius Schrader, im Hintergrund der Chimbarazo in Ecuador
 

Abb. 3: Titelseite von Humboldts Werk aus dem Jahre 1823, digitalisiert von Google

Humboldt setzte den Wernerschen Ansatz in die Praxis um und verglich die ihm bekannten und von ihm bereisten geologischen Regionen der Erde. Er schrieb 1823 in seinem Werk „Essai géognostique sur le gisement des roches dans les deux hémisphères“ auf S. 64 :

Abb. 4: Seite 64 aus Humboldt (1823), digitalisiert von Google

Engelhardt (1979) übersetzt die sich auf den mitteldeutschen Raum beziehende relevante Passage wie folgt:

„Ein kleiner Teil des Erdballs, ein Gebiet von nur einigen Quadratmeilen, in dem die Natur viele Formationen vereinigt hat, kann - wie ein wahrer Mikrokosmos der alten Philosophen - im Geiste eines guten Beobachters sehr genaue Vorstellungen über die fundamentalen Wahrheiten der Geognosie entstehen lassen.“

Und weiter (Übersetzung durch Michael Krause): „In der Tat waren die meisten der ersten Darstellungen von Werner, selbst jene, die dieser berühmte Mann vor 1790 gegeben hatte, von einer Genauigkeit, die uns noch heute verblüfft. Die Gelehrten aus allen Ländern, selbst jene, die keine Vorliebe zur Schule von Freiberg zeigen, haben sie als Basis der geognostischen Klassifikationen beibehalten. Dennoch, was man 1790 über das Urgebirge, die Übergangsschichten und das Sekundär wusste, stützte sich fast ausschließlich auf die Region Thüringen sowie die erzführenden Berge von Sachsen und des Harzes, auf ein Gebiet von nicht einmal 75 Meilen Länge. Die bemerkenswerten Arbeiten von Dolomieu, die Beschreibung der Alpen durch Saussure wurden zu Rate gezogen; aber sie übten keinen großen Einfluss auf die Arbeiten von Werner aus. Zweifellos konnte Saussure unnachahmliche Beispiele von Genauigkeit bei der Topographie jeden Berggrats und jeden Tales vorweisen; aber dieser furchtlose Reisende, überrascht von den Schwierigkeiten der Übereinanderschichtung und der augenscheinlichen Unordnung, die im Innern der hohen alpinen Bergketten herrschen, schien wenig geneigt, sich allgemeine Vorstellungen über die geognostische Beschaffenheit des Landes zu machen. In dieser ersten Phase der Wissenschaft gründete sich der Typus einer Formation nur auf eine geringe Zahl von Beobachtungen; er glich allzu sehr der Beschreibung des Ortes, an dem er geprägt wurde. Man erklärte die vorherrschenden Gesteinsmassen zu unabhängigen Formationen, die in anderen Ländern aber nur untergeordnete Schichten sind ….“

Die „geologischen Quadratmeilen“ sensu Werner bzw. Humboldt umfassten somit den mitteldeutschen Raum zwischen Harz, Thüringer Becken und Erzgebirge – das Kerngebiet der Region, die Weigelt später als „Mitteldeutsche Hauptscholle“ bezeichnete (Weigelt 1929). Die seinerzeit übliche Preussische Meile hatte übrigens eine Länge von ca. 7,5 km. Der Harz war somit zu diesem Zeitpunkt definitiv nicht gemeint.

Es ist noch unklar, wie sich der Gedanke dann später auf den Harz fokussierte. Bekannt ist, dass der aus Peine stammende und im 19. Jh. sehr bekannte Schriftsteller und Reisende Friedrich v. Bodenstedt aus einer Gesprächsrunde berichtete, in der von Humboldt in den 1840er Jahren den Satz geprägt habe: „Goslar ist der Mittelpunkt der klassischen geologischen Quadratmeile“ (Griep 1993, 2005).

Abb. 5: Profilschnitt durch Goslar und die Klassische Geologische Quadratmeile
(aus Mohr 1963)

Eine wichtige Rolle bei der weiteren Popularisierung des Begriffs spielten die geologischen Übersichtskarten des Harzes, u.a. die 1881 erschienene Lossen-Karte (Lossen 1881) oder die „Ohrenkarte“ von Dahlgrün (1933), die die damals schon auf die Harzregion reduzierten „Quadratmeilen“ in anschaulicher Form darstellten. Später waren es einige beliebte und weit verbreitete Schriften von Behme und Mohr, die diese Rolle übernahmen.

Heute wird der Begriff „Die Klassischen Geologischen Quadratmeilen“ für den Geopark Harz – Braunschweiger Land – Ostfalen verwendet, z.B. in Publikationen des Geoparks oder in der 2007 neu eröffneten Ausstellung im Goslarer Museum (Regionalverband Harz 2004). Wenn man den großräumigen Ursprungsansatz bedenkt, den Werner und von Humboldt zunächst hatten, geschieht das nicht zu Unrecht.

Der unpassende Präfix „Goldene“ im Zusammenhang mit der Quadratmeile sollte m.E. künftig vermieden werden.

Die Popularisierungsgeschichte des Begriffes „Klassische Quadratmeile der Geologie“ und auch die Frage, wer wirklich erstmals den Zusatz „Klassisch“ verwendet hat, ist ein reizvolles, bisher weitgehend unbearbeitetes Thema der Geologiegeschichte (Knolle 2010a, b, Knolle et al. 2017).
 

Stand 1.12.2021

Dank

Zu dieser Recherche kam es durch den Anstoß von Helmut Radday. Für Hinweise danke ich Hans-Günther Griep †, Friedel Knolle †, Gerhard Laub †, Prof. Dieter Meischner †, Fritz Reinboth, Eberhard Riech, Dr. Alfred Schuster und Herwig Zang, für die Übersetzung aus dem Französischen Michael Krause †.
 

Literatur und Quellen

Behme, F. (1903): Geologischer Führer durch die Umgebung der Stadt Goslar am Harz einschließlich Hahnenklee, Lautenthal, Wolfshagen, Langelsheim, Seesen und Dörnten. - 3. Aufl., Hannover - Leipzig

Behme, F. (1922a): Geologischer Harzführer, IV. Teil. Die jüngeren Gebirgsschichten in der Umgebung von Goslar am Harz. - 4. Aufl., Hannover

Behme, F. (1922b): Geologischer Harzführer, V. Teil. Die Umgebung von Bad Harzburg, Formationskunde. - 4. Aufl., Hannover

Biermann, K.-R. (1983): ALEXANDER VON HUMBOLDT. Chronologische Übersicht über wichtige Daten seines Lebens. - Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung 1, 2. Aufl., Berlin

Dahlgrün, F. (1933): Blatt Halberstadt. - Geol. Übersichtskarte von Deutschland, 1 : 200 000, Bl. 100, Preuß. Geol. L.-A., Berlin

Engelhardt, W. (1979): Die Entwicklung der geologischen Ideen seit der Goethe-Zeit. - Abhandlungen der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft 30, Göttingen

Griep, H.-G. (1993): Die Geologie und Topographie. – Goslar. Führer durch Goslar, Bd. 6, Goslar

Griep, H.-G. (2005): Entwicklung der Stadt und deren Wasserwirtschaft. - Museumsverein Goslar, Jahresgabe

Groddeck, A. v. (1871): Abriss der Geognosie des Harzes. Mit besonderer Berücksichtigung des nordwestlichen Theils. - Clausthal [2. Aufl. 1883]

Humboldt, A. von (1823): Essai géognostique sur le gisement des roches dans les deux hémisphères. - Paris [online auf http://www.books.google.de deutsch bearbeitet v. K. Ritter von Leonhard unter dem Titel: Geognostischer Versuch über die Lagerung der Gebirgsarten in beiden Erdhälften. - Strassburg 1823; die deutsche Ausgabe liegt dem Autor nicht vor]

Kalischer, S. (1877): Goethe’s Werke, 33. Theil. Zur Morphologie - Zur Mineralogie und Geologie. - Leipzig

Knolle, F. (2010a): Wurde der Begriff „Klassische Quadratmeile der Geologie“ für den Harz geprägt? - Unser Harz 58(8):158-160

Knolle, F. (2010b): Wer prägte den Begriff „Klassische Quadratmeile der Geologie“ ? - Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 2011:95-98

Knolle, F., Mohr, S. & Seitz, M. (2017): Nordwestliches Harzvorland. Die Klassische Quadratmeile der Geologie. – 135 S., Streifzüge durch die Erdgeschichte, Edition Goldschneck im Quelle & Meyer-Verlag, Wiebelsheim

Laub, G. (2003): Goethe und die Klassische Quadratmeile der Geologie. - Unveröff., 8 S., Goslar

Laub, G. (2003/2004): Schriftliche Mitteilungen v. 29.12.2003 und 18.1.2004

Lossen, K.A. (1881): Geognostische Übersichtskarte des Harzes 1:100.000, Berlin

Mohr, K. (1963): Die Geologie des Westharzes. 400 Millionen Jahre Harzgeschichte. - Ed. Piepersche Buchdruckerei und Verlagsanstalt, Clausthal-Zellerfeld

Mohr, K. (1989): Die klassische Quadratmeile der Geologie. - Niedersächsische Akademie der Geowissenschaften, Hannover

Radday, H. (2003/2004): Schriftliche Mitteilungen v. 15.12.2003 und 7.1.2004

Regionalverband Harz e.V. (2004): Geopark Harz – Braunschweiger Land - Ostfalen, Landmarke 3: Rammelsberg.- Faltblatt, 12 S., Quedlinburg [Text: F. KNOLLE & V. WREDE; online auf http://www.harzregion.de]

Semper, M. (1914): Die geologischen Studien GOETHES. - Leipzig

Schmid, G. (Hrsg.): Goethe. Die Schriften zur Naturwissenschaft. Schriften zur Geologie und Mineralogie, Bd. 1 (1947), Bd. 2 (1949).- Weimar

Weigelt, J. (1929): Der tektonische Unterbau der mitteldeutschen Hauptscholle. - Beitr. Landeskde. Mitteldeutschlands, Festschrift 23, Dtsch. Geographentag Magdeburg, Braunschweig

Werner, A. G. (1787): Kurze Klassifikation und Beschreibung der verschiedenen Gebirgsarten. - Dresden [online auf http://www.tu-freiberg.de/~ub/grafik/werner/werbuch.html]

www.geopark-harz.de

Dr. Friedhart Knolle, Goslar, fknolle@t-online.de

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