Ber. Naturhist. Ges.116Festschrift 175 JahreHannover 1972

Ingenieurgeologische Erfahrungen
bei Schäden in Erdfallgebieten Südniedersachsens

Von ERNST HABETHA, Hannover *)

Mit 6 Abbildungen

1. Begriffe, bautechnische Bedeutung der Erdfälle

Erdfälle sind Einbrüche an der Erdoberfläche, die als Folge von Hohlraumbildungen im Untergrund entstanden sind. In dem Gebirge, das diese Hohlräume umgibt, ist aus den verschiedensten Gründen das Spannungsgleichgewicht überschritten und der Bruchzustand erreicht, so daß ein Zusammenbrechen entweder kontinuierlich oder in mehreren zeitlich unregelmäßig aufeinander folgenden Vorgängen eintritt.
Der Anlaß für die Hohlraumbildung ist in erster Linie in der Ablaugung von Gesteinen wie Salz, Gips, Anhydrit usw. zu suchen. Natürlich gibt es andere Ursachen, wie Massentransport durch unterirdische Flüsse, Unterströmungen von Leitungen im städtischen Tiefbau, Bergbau usw., die zu den gleichen Erscheinungen an der Erdoberfläche führen können. Dieser Komplex soll hier jedoch nicht erwähnt werden.
Es werden ausschließlich Erdfälle in den südniedersächsischen Auslaugungsgebieten behandelt, insbesondere auch ihr unheilvoller Einfluß auf die Werke des Bauingenieurs und die Versuche mit diesem Phänomen in der Baupraxis fertig zu werden. Wenn uns auch die Fortschritte von Boden und Felsmechanik in die Lage versetzt haben, schwere und große Bauwerke auch dort zu errichten, wo ein ungünstiger Baugrund dies bisher zu verbieten schien, so müssen wir beim Bauen in Auslaugungsgebieten recht bald erkennen, daß uns die Unberechenbarkeit der Einflüsse aus dem Untergrund hier Grenzen setzt.
Sicheres und wirtschaftliches Bauen setzt eine ausreichend genaue Baugrunduntersuchung voraus. In Erdfallgebieten haben aber die konventionellen Untersuchungsmethoden in Gelände und Laboratorien versagt. Geologische Kartierungen sind nicht in der Lage, die den Dimensionen des Bauwerkes angepaß ten genauen Kenntnisse zu vermitteln. Schließlich sind andere Methoden, insbesondere geophysikalische, noch im Stadium der Entwicklung und Erprobung für diese speziellen Aufgaben des Bauwesens.
Zur Zeit sind wir fast nur auf Bohrungen angewiesen, die meist in große Tiefen heruntergebracht und sehr eng gesetzt werden müssen, um ihren Zweck zu erfüllen. Der Einsatz der hierbei anfallenden hohen Unkosten läßt sich dann meist nur für große Bauvorhaben rechtfertigen.
Andererseits besteht in Auslaugungsgebieten oft eine nicht unbeträchtliche Besiedlung, die z. T. sogar zur Industrialisierung geführt hat (Lüneburg, Stade, Salzgitter usw.). So verbleibt uns die Aufgabe, nach neuen Wegen zu suchen, die es uns ermöglichen, die Einflüsse aus dem Untergrund vorauszubestimmen und das Risiko von Schäden soweit wie möglich herabzusetzen.
Erfahrungen bei den eingetretenen Schadensfällen, Beobachtungen an Bauwerken und Überprüfung der Zweckmäßigkeit von Baumaßnahmen sind z. Z. wertvolle Hilfen für den Bauingenieur, der in den Erdfallgebieten Südniedersachsens seine Aufgaben durchführt. Dazu sollen die folgenden Ausführungen beitragen.

2. Die Erdfälle am Bahnhof Seesen

Das Bahnhofsgebäude liegt in dem seit altersher bekannten Erdfallgebiet von Seesen, das von größeren und kleineren Erdfalltrichtern übersät ist.
Seit dem 6. Januar 1878 traten am Bahnkörper, bzw. auf dem Gelände, etwa zwischen km 86,5 und 86,6 in unregelmäßigen Zeitabständen Bodensenkungen auf, die meist zu mehr oder weniger ausgedehnten, trichterförmigen Einsenkungen führten. Um den Verkehr auf diesem wichtigen Bahnknotenpunkt aufrecht erhalten zu können, wurden diese Trichter dann laufend, oft unter dem Einsatz erheblicher Mittel, verfüllt. Darüber liegen in den Akten der Bundesbahn-Bauverwaltung zahlreiche Angaben vor, aus denen eine Auswahl zusammengestellt wurde.

  6.1.1878Einbruch, Ausmaß unbekannt;
25.1.1933Krater mit Durchmesser ca. 20 m, 0,6 m tief;
Frühjahr 1934Setzung der Weiche 61 um 2 cm;
25.11.1939Trichter 6 m, 13 m tief;
25.6.1941Trichter 4 m, Tiefe zunächst 4 m, dann 6 m;
17.9.1943Trichter 2,2 m, Tiefe 1,8 m;
25.9.1943Trichter 1,0 m, Tiefe 1,0 m;
10.12.1945Trichter 4,5 m, Tiefe 1,5 m;
6.8.1953Trichter 1,5 m, Tiefe 0,2 m;
3.10. 1958Trichter 9,0 m, Tiefe 15 m mit Nachbrüchen erheblichen Ausmaßes beim Verfüllen.

Diese Tabelle läßt sich natürlich weiterführen; denn auch nach 1958 kamen die Bewegungen im Bahnhofsgebiet nicht zur Ruhe, da die Ursache der Schäden durch die Verfüllungsmaßnahmen nicht beseitigt waren und mangels genauer Kenntnis der Lage der Auslaugungshohlräume im Untergrund auch keine anderen, zweckmäßigeren Maßnahmen angeordnet werden konnten.


Abb. 1: Erdfallgebiet um den Bahnhof in Seesen. HABETHA, E., und PREUL, F., Stand 1959

Um im Falle einer sich anbahnenden Katastrophe wenigstens schwere Unfälle an Leib und Leben verhüten zu können, richtete man ein elektro-akustisches Warnsystem zur Überwachung der Senkungsbewegung ein. Ein Verfahren, das sich dann auch durchaus bewährt hat.
Der letzte, wohl größte Erdfall, trat dann am 10. 6. 1971 ein, als die Absenkungsbewegungen so stark Zunahmen, daß innerhalb 10 Stunden der Boden unter den Schienen auf ca. 18 m Länge einbrach, und sich ein Loch von 10 m Tiefe ausbildete. Letzteres weitete sich dann noch etwas aus und vertiefte sich auf etwa 12 m, z. T. unter dem Einfluß der Verfüllungsmaßnahmen, die sofort einsetzten. Dabei wurde aus dem ganzen Bundesgebiet Füllmaterial antransportiert.
Daß mit diesen Maßnahmen, wie die Lehren der Vergangenheit zeigten, auch jetzt keine endgültige Lösung des Problems zu erreichen ist, darüber war man sich im klaren. Vielmehr hatte man beobachten können, daß durch die Zusatz belastungen der Auffüllungen etwa vorhandene Hohlräume im Untergrund nur noch schneller zum Einbruch gelangten. Andererseits setzen alle weiteren in Erwägung gezogenen Baumaßnahmen, z. B. eine Überbrückung der Schadens stelle mit einem Stahlbetonbauwerk usw., eine weitaus exaktere Kenntnis des Untergrundes voraus, als sie z. Z. vorhanden ist.
Deswegen wurden zwei, über 200 m tiefe, Bohrungen abgeteuft, von denen die eine im engeren Erdfallgebiet, die andere außerhalb desselben angesetzt wurde. Die Ergebnisse liegen vor und sind einigermaßen sensationell.
Im Erdfallgebiet reichten die Einsturzräume mit Verfüllmassen und zerbrochenem Gestein bis über 110 m Tiefe. Dann folgt zerklüftetes Anhydritgestein, das oftmals auf Bohrlängen von 1 m bis 4 m dem Vortrieb keinen Widerstand entgegenbrachte; hier sind also Hohlräume vorhanden. Die Ursache der Erdfälle wird danach unter den Stinkdolomiten (Z2) im Werra Anhydrit (Z1) vermutet. Möglicherweise sind aber auch die Schichten des Zechstein 2 und 3 über dem Stinkkalk von Einfluß gewesen, da in diesen Schichten erhebliche Mengen von Steinsalz ausgelaugt sind und zu Hohlraumbildungen geführt haben.
Außerhalb des engeren Erdfallbereiches traf die Bohrung („Bahnhof Seesen I“, angesetzt auf Blatt Nr. 4127, hoch 57 50 610, rechts 35 80 450) die in folgendem Kurzprofil (nach Dr. C. HINZE, Niedersächsisches Landesamt für Bodenforschung) wiedergegebene Schichtenfolge an:

   0,0 m bis 82,3 mUntere Wechselfolge (su)Unterer
Buntsandstein
 82,3 m bis 111,5 mBröckelschiefer (su)

111.5 m bis 135,6 mTon und Residualton (Z3 und Z4)Zechstein
135.6 m bis 194,0 mBasaltanhydrit (A2)
194,0 m bis 208,0 mStinkkalk (Ca2)

Dieses Profil weist darauf hin, daß die Ablaugung über den Stinkkalken an dieser Stelle kaum mehr von Einfluß sein kann. Andererseits liegt der Werra Anhydrit für eine Beeinflussung an der Oberfläche doch sehr tief.
Da die Untersuchungen über die Ursachen der Erdfälle noch nicht abgeschlossen sind, können die baulichen Maßnahmen, die sich aus dem Ergebnis ab leiten, auch hier noch nicht erörtert werden. Selbstverständlich sind bei der Beurteilung der Kausalzusammenhänge die hydrologischen Faktoren, auf die hier nicht eingegangen werden kann, insbesondere bei einer Neubildung von Auslaugungshohlräumen und Erdfällen in Rechnung zu ziehen.

3. Das Erdfallgebiet am Blossenberg, südlich von Osterode/Harz

In einem Gelände zwischen dem Langenberg, dem Blossenberg und dem Heistermanngrund, südlich des Ortskernes von Osterode, sind eine ganze Reihe von mehr oder weniger großen Erdfällen zu beobachten, die z. T. bestimmten Linien, offensichtlich Spaltensystemen, folgen, z. T. auch ganz unregelmäßig verstreut sind (s. Abb. 2).



Abb. 2: Erdfälle am Blossenberg bei Osterode. Geolog. Karte nach A. HERRMANN

Um einen möglichst ausgedehnten Bereich dieses Geländes ständig mit schweren Fahrzeugen möglichst risikolos befahren zu können, war es notwendig, einen Überblick über Neubildung und Ausweitung der Erdfälle zu gewinnen.
Durch kombinierten Einsatz von Bohrungen und Methoden der Felsdynamik wurde eine Lösung des Problems versucht. Dabei standen als seismische Parameter in erster Linie die Ausbreitungsgeschwindigkeit, ferner die Frequenz und die Dämpfung der durch Sprengung erzeugten Stoßwellen zur Verfügung. Die Messungen erfolgten z. T. von Bohrloch zur Erdoberfläche, z. T. von Bohrloch zu Bohrloch.
Überprüft wurden die seismischen Meßergebnisse durch Kernbohrungen, die außer auf ihren geologischen Inhalt auch auf felsmechanische Eigenschaften, wie Klüftigkeit, Auflockerung usw. ausgewertet wurden. Auf diese Weise ließen sich dann im untersuchten Gelände folgende Geschwindigkeitsbereiche bestimmten boden bzw. felsmechanischen Eigenschaften zuordnen:

Ausbreitgeschwindigkeit
in m · s -1
Gesteine

650Ton, Lehm, Hangschutt, Lößlehm, Verwitterungslehm des Dolomites, grauer Salzton
700 - 1050Gips, zerrüttet, in der Nähe von „Störungszonen und“ Hohlräumen, stark kavernös. Verwitterter und kavernöser Dolomit
1100 - 1250Gips und Dolomit, schwach kavernös bis kavernös
1300Unverwitterter Gips und Dolomit

Die auf dem Gelände anstehenden Festgesteine reichen vom Staßfurtdolomit (Z2) bis zum Bröckelschiefer (su) und werden von quartären Verwitterungslehmen, Lößlehm usw. überlagert.
Allerdings konnte aufgrund der geologischen Untersuchungen und Spezialaufnahmen allein der gefährdete Bereich des Untersuchungsgebietes auf den südlichen Teil des Gesamtgeländes, d. h. auf den Abschnitt zwischen Blossenberg und Heistermannsgrund eingegrenzt werden (s. Abb. 2).
Das Streichen der Zechstein-Schichten wechselt zwischen etwa 110° und 130°; ihr Fallen ist im allgemeinen schwach nach SW gerichtet. Im nördlichen Teil des Geländes tritt, in weiter Fläche vom Quartär überlagert, der Staßfurtdolomit in der Stinkdolomit Fazies auf und ist dort etwa 35 m mächtig. Wegen ihrer plattig bankigen Ausbildung (Steinbruch am Langenberg) und der fast horizontalen Lagerung neigen diese Schichten dazu, die Geländeoberfläche (flächenhaften Ausstrich) zu bilden. Unter der Hangend-Decke von mehr als 15 m Dolomit entwickelt sich dann ein Erdfalltyp, der nach A. HERRMANN (1953) durch Subrosionsvorgänge an der Gipsoberfläche des Zechstein 1 unter dem Dolomit entsteht und durch flache, sich schüsselartig aus der Umgebung einsenkende Erdfälle gekennzeichnet ist. Erdfall-Erscheinungen sind hier verhältnismäßig leicht zu orten, weil sich die Formen der Gipsoberfläche durch den Dolomit hindurch an der Oberfläche nachzeichnen.
Anders verhält es sich im südlichen Bereich des Geländes. Hier stehen auf einem Streifen von ca. 800 m Breite die besonders subrosionsgefährdeten Gesteine des Zechstein 2 bis 4 an, unter ihnen der Hauptanhydrit (A3) und der Basalanhydrit (A2). Hier herrscht ein anderer Erdfalltyp (A. HERRMANN, 1953) vor, ein Typ, der sich in z. T. linienmäßig, z. T. regellos angeordneten Einbruchstrichtern mit einem Durchmesser Tiefenverhältnis von 2 :1 äußert. Die Durchmesser können Größenordnungen von weit über 10 m erreichen. Daß dieser Typ der Erdfälle für die Bebauung gefährlich ist, weil sich hier aus der Morphologie keinerlei Hinweise auf mögliche Ablaugungsräume im Untergrund ableiten lassen, ist offensichtlich. Da man auch hier eine Ausweitung des Befahrbarkeitsbereiches anstrebt, muß man die Brücken oder Rippen zwischen den einzelnen Auslaugungsräumen finden und ihre Stabilität beurteilen. Eine unveröffentlichte Untersuchung an der Bundesanstalt für Bodenforschung durch H. ALBRECHT (1968) führte durch Anwendung der vorstehend genann ten Methoden zwar zu wertvollen Ergebnissen, konnte aber natürlich keine allseits befriedigende Lösung bringen. Immerhin war es ein erster Schritt. Das Risiko von Schäden beim Befahren ließ sich danach weiter einschränken, nicht aber ganz beseitigen.

4. Der Schadensfall am Alu-Gebäude der Firma Schmalbach AG in Seesen

Die Schäden an dem 60 m langen und 20 m breiten Alu-Gebäude der Schmalbach AG in Seesen traten zwischen dem 24. September und 30. September 1964 in Form von Senkungen und Rißbildungen auf. Die Risse vergrößerten sich stellenweise bis zu einer Klaffweite von mehreren Zentimetern. Gleichzeitig zeigte sich im Planum des Hofes ein Senkungstrichter von etwa 5 cm bis 10 cm Tiefe.
Dieser Schadensfall dürfte deswegen besonders interessant sein, weil hier versucht wurde, die Lage des Senkungs bzw. Trichterzentrums im Grundriß des großen Gebäudes durch Beobachtungen am Bauwerk selbst zu orten. Insbesondere war es die Aufnahme des Rissebildes und seine mechanische Deutung,die darauf hinweist, daß das Zentrum des Trichters vermutlich unter der Außenwand des Gebäudes, etwa im Bereich der Werkküche zu suchen sei.


Abb. 3: Lage des Erdfalles am Alu-Gebäude der Schmalbach AG in Seesen, nach J. G. ZSCHEKED, 1965

Natürlich läßt sich auch hier über das genaue Ausmaß des Hohlraumes, der den Einbruch veranlaßte, wenig sagen. Er kann Höhen in der Größenordnung von 1 m bis mehr als 5 m besitzen. Solange die über ihm liegende Schichtdecke flexibel genug ist, sich bruchlos zu verformen, bricht der Erdfall auch nicht bis zur Oberfläche hoch. Es entsteht eine Durchbiegung bzw. Einsenkung, die natürlich statisch gewisse Schlußfolgerungen auf das Ausmaß des Hohlraumes zuläßt, wenn seine Tiefenlage und die Eigenschaften des Gesteins ungefähr bekannt sind.
Der Untergrund des Gebäudes bestand in diesem Falle aus den Gesteinen des Hauptanhydrit (A 3), über dem noch Reste von Unterem Buntsandstein (Bröckelschiefer) und quartäre Schichten lagern. Die für die Schadensbildung ursächlichen Auslaugungshohlräume sind im Hauptanhydrit zu suchen. Einer von ihnen war bis zur Erdoberfläche an der Schadensstelle hochgebrochen.
Von einer Sanierung des Gebäudes insgesamt mußte nach dem vorliegenden ingenieurgeologischen Befund abgeraten werden. Sinnvoller erschien es, die gefährdeten Gebäudeabschnitte abzubrechen und an anderer Stelle neu aufzubauen. Im Prinzip waren durch die genannten Untersuchungen die Voraussetzungen für bauliche Maßnahmen bereits in einem gewissen Grade gegeben. Die Überbrückung des Erdfalles durch eine Stahlbetonkonstrucktion hätte aber voraussichtlich zu derartig unwirtschaftlichen Abmessungen geführt, daß auf weitere Untersuchungen der Festigkeit der Auflager beiderseits vom Zentrum verzichtet wurde.

Abb. 4: Alu-Gebäude Fa. Schmalbach AG, Seesen. Risse am Gebäude, ungefähr über dem
Ablaugungszentrum, Ansicht von der Hofseite. Foto ZSCHEKED, 1965

5. Beobachtungen und Erfahrungen an verschiedenen Hoch und Ingenieurbauten
im Erdfallgebiet Südniedersachsens


Im vorigen wurde gezeigt, daß Schäden an den Bauwerken durch Erdfälle z. T. hätten vermieden werden können, wenn man aus der meist bereits vorhandenen Kenntnis, daß das Bauwerk ganz oder teilweise in einem Erdfall gegründet werden mußte, die Konsequenzen gezogen hätte.
Wie bereits erwähnt, ist man allerdings oft gezwungen, im dichtbebauten Stadtgebiet Konzessionen anbauplanerische Gesichtspunkte, an die Eigentumsverhältnisse usw. und weniger an den Baugrund zu machen. Dann aber muß man sich bewußt, daß möglicherweise erhebliche Aufwendungen für die Gründung unvermeidsam sind.

So wurde z. B. in Seesen eine Werkhalle zum Teil im Trichter eines Erdfalles über dessen Rand hinweg errichtet. Die ursprüngliche Pfahlgründung war nicht ausreichend lang. Ein Teil des Bauwerkes senkte sich, im Bauwerk traten Risse auf. Diese Bewegungen müssen nicht unbedingt auf die Reaktivierung des Erdfalles zurückzuführen sein. Wie in vielen anderen Fällen ist es oft der typische Sediment Inhalt der Erdfalltrichter, der infolge seines ungünstigen bodenmechanischen Verhaltens zu Setzungen mit hohen, auf kürzeste Entfernung ungleichmäßigen Beträgen oder sogar zu Grundbrüchen führt.

Ein Beispiel hierfür bot ein Schadensfall in einer Werkhalle in Tettenborn, in der sich im Oktober 1960 ein Mittelpfeiler plötzlich um Dezimeterbeträge absenkte. Man kann natürlich eine Reaktivierung der Bewegungen, die aufgrund eines Ablaugungshohlraumes im Untergrund zum Entstehen des Erdfalles, in dem der Pfeiler gegründet wurde, geführt haben, nicht von vornherein ausschließen. Sehr viel näher liegt es jedoch, in dem Verhalten des unmittelbar vom Fundament beanspruchten Baugrundes die Ursache der Absenkung des Pfeilers zu suchen. Im Trichter standen, wie Bohrungen ergaben, weiche bis sehr weiche Torf und Faulschlammschichten an. Diese Schichtserie war über 9 m mächtig. Ihr bodenmechanisches Verhalten hätte theoretisch ohne weiteres ausgereicht, den Schaden zu begründen. Der ehemalige Erdfall war aber offensichtlich früher durch eine 3 m dicke Kieslage verfüllt worden, so daß den Bauingenieuren, die die Halle errichteten, der darunter liegende schlechte Baugrund gar nicht bekannt geworden war. Wie sich allerdings weiter ergab, war in 12 m bis 15 m Tiefe unter Gelände noch kein Festgestein erreicht. Als Sanierungsmaßnahmen wurde alternativ eine wesentliche Vertiefung der Bettungsschicht auf mindestens 6 m oder eine Pfahlgründung auf etwa 15 m langen Pfählen vorgeschlagen, wobei darauf hingewiesen wurde, daß in beiden Alternativen ein erhebliches Risiko enthalten ist.

Daß in den Erdfalltrichtern oft abnorm hohe und in der Mächtigkeit kurzstreckig wechselnde Torf und Faulschlammschichten angetroffen werden, er klärt sich aus den dem Einbruch folgenden Sedimentations oder Auffüllvorgängen, bei denen die Einsenkungsbewegung oft noch weitergeht. Von den steilen Böschungen oder Wänden des Erdfalltrichters rutschen nicht selten mineralische Bodenmassen ab und breiten sich dann in Lagen aus. Diese täuschen dem Baugrundfachmann zuweilen einen festen Untergrund vor, unter dem dann organische Sedimente anstehen können.

Bei kleineren Bauwerken, z. B. bei Aussiedlerhöfen im Eichsfeld, hat sich die sehr robuste Methode der Baugrubenabrammung mit Fall-Bären von 1,5 Mp bis 3 Mp bewährt. Durch diese dynamische Überbeanspruchung konnte für diese Fälle leichter Bauten erfolgreich in dem sonst von frischen Einbrüchen durchsetzten Gelände eine gewisse Sicherheit gewährleistet werden.

6. Der Bundesbahntunnel in Walkenried

Man kann über den Einfluß von Auslaugungen im Untergrund des südniedersächsischen Bereiches nicht sprechen, ohne auf die Erscheinungen im Bundesbahntunnel von Walkenried einzugehen.


Abb. 5: Der Bundesbahntunnel in Walkenried. Schematische Lageskizze und Schnitte.
Nach Bundesbahndirektion Hannover, Bautechnik-Büro

Wenn es sich hier auch um Einbrüche und Auslaugungen untertage handelt, so sind sie doch für die Erforschung des Erdfallmechanismus außerordentlich instruktiv, da sie uns die Entwicklung von Erdfällen von der Auslaugung bis zum Hochbrechen vor Augen führen.
Der Walkenried Tunnel besitzt eine Länge von rd. 260 m, eine lichte Höhe von 6,60 m und eine Breite von 8,60 m. Er verläuft in etwa Ost westlicher Richtung in den verkarsteten Kalken und Anhydriten des Zechsteins.
Schon beim Bau des Tunnels wurden Höhlen von erheblichem Ausmaße an gefahren. Einer hat man den Namen „Himmelreichshöhle“ gegeben, offensichtlich weil sie von der Firste aus den Weg nach oben wies.
Der Ablauf der Einwirkung der Auslaugungsräume auf das Tunnelbauwerk mag aus folgenden Daten der Tunnelgeschichte erkennbar werden:
1868Baubeginn des Tunnels
1869Einsturz der dünnen Gipsdecke an der Firste
1869Fertigstellung und Inbetriebnahme des Tunnels
1878Einsturz des südlichen Flügels, Erneuerung im Osten
1898Trockenlegung der Portale
1910Erneuerung der Portale und des W-Flügels
In der Folgezeit: laufende Erneuerungen
1913Ausweichungen des Tunnelwiderlagers im Höhlenbereich, Höhlenbad ausbetoniert
1912Erdfall unter dem südlichen Widerlager beim km 141,055 entdeckt, 20 m2, 2 m tief
1935Große Anhydritscholle stürzt über dem Höhleneingang ab, 7000 m3 über dem Tunnelgewölbe 6 m hoch aufgefüllt
1958Erneuerung der zusammengebrochenen Stollen.
Die in vorstehender Aufstellung genannten Stollen sind Entwässerungsstollen, die angelegt werden mußten, um das Wasser vom Tunnel selbst fernzuhalten oder es abzuziehen. Das Fortschreiten der Auslaugung, das im Tunnelbereich zurückging, spielte sich nun im Bereich dieser Stollen ab. Nirgends besser als dort kann man den Einfluß der unterirdisch fließenden und stehenden Wässer studieren. Schon bald nach ihrer Anlage zeigten sich Auskolkungs- und Unterströmungserscheinungen. Einbrüche und Verdrückungen des Ausbaues dieser Stollen führen zu kostspieligen Reparaturen (s. Abb. 6).

7. Schlußfolgerungen, Ausblick

An einigen Beispielen sollte im Vorstehenden die Bedeutung der Erdfall-Erscheinungen überhaupt, speziell aber im südniedersächsischen Raum, für die Bautechnik gezeigt werden. Die Serie der Beispiele kann, da jedes Jahr neue Fälle dazu kommen, beliebig vergrößert werden.


Abb. 6: Walkenried-Tunnel. Auslaugungen in der Sohle eines Entwässerungsstollens (Einbruchstelle). Zustand Herbst 1961

Wenn wir nicht weiterhin Zusehen wollen, wie Hoch- und Ingenieurbauten sozusagen über Nacht zerbrechen, Fahrzeuge versinken, städtebauliche und industrielle Entwicklungen gebremst oder verhindert werden, muß intensiv nach ingennieurgeologischen Untersuchungsmethoden gesucht werden müssen, die ausreichendeVoraussagen über dasVerhalten der Bauwerke in solchen Gebieten zulassen.
Dazu sind im Vorstehenden Ansätze für die Praxis des Bauens aufgezeigt worden. Die weitere Entwicklung wird sich etwa auf die folgenden Aufgabenkomplexe konzentrieren müssen:
  1. Systematische Bestandsaufnahme der Erdfallgebiete und Erdfallerscheinungen in ingenieugeologischen Karten,
  2. Entwicklung von Geräten und Methoden zur Ortung von Hohl- und Auslaugungsräumen, die das Bauwerk beeinflussen können,
  3. Entwicklung konstruktiver Maßnahmen, die geeignet sind, Schäden und Risiken beim Bauen in Erdfallgebieten herabzusetzen oder auszuschalten,
  4. Vorbereitung einer Richtlinie für das „Bauen in Erdfallgebieten“ o.ä.,entsprechend der Richtlinie „Bauen in Gebieten mit untertägigem Bergbau“.
Eine generelle Ablehnung der Bebaubarkeit von Erdfall und Karstgebieten ist zwar bequem aber undurchführbar. Immer wieder zeigt es sich, daß in Ablaugungsbereichen neben einzelnen oder auch gehäuft auftretenden Schadens fällen auch eine große Zahl von Bauwerken ohne Schäden z. T. die Jahr hunderte überdauert haben.
Wenn man also in der Lage ist, richtige und genaue Voraussagen über das Verhalten des Baugrundes für ganz begrenzte Vorhaben zu treffen, wenn man weiterhin sinnvolle Baumaßnahmen plant und ausführt, dann kann man auch im Bereiche von Erdfällen wertvolles Bauland wirtschaftlich nutzbar machen.

Schrifttum

ALBRECHT, H.: Bericht über felsdynamische Untersuchungen eines Geländes bei Osterode. - Unveröffentlichter Bericht der Bundesanstalt für Bodenforschung, Hannover, Oktober 1968, mit Geolog. Karte 1 : 5000 von A. HERRMANN.

HABETHA, E. & PREUL, F.: Ursachen eines Erdfalles auf dem Bahnhofsgelände zu Seesen und Sicherungsmaßnahmen. - Unveröffentlichtes Gutachten des Niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung, Hannover, Juli 1959.
HERRMANN, A.: Der Zechstein am Südwestrand des Harzes. - Inaugural Dissertation, Freie Universität Berlin, Math. Naturwissenschaftliche Fakultät, 1953.

ZSCHEKED, I. G.: Über die Entstehung eines Gebäudeschadens auf dem Gelände der Firma Schmalbach AG in Seesen. - Unveröffentlichtes Gutachten des Niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung, Hannover, 1965.

Archivunterlagen der Bundesanstalt für Bodenforschung, der Bundesbahndirektion Hannover, des Niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung.

 *) Prof. Dr. E. HABETHA, Bundesanstalt für Bodenforschung, 3 Hannover Buchholz, Stilleweg 2

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