DR. KARL SANDERS, KONSTANZ

JOHANN HEINRICH RAMBERG (1763-1840) - EIN FRÜHER ZEICHNER
VON MERKWÜRDIGKEITEN DES HARZES


FOLGE 9: DIE EINHORNHÖHLE


Die Einhornhöhle wurde schon in der letzten Folge angesprochen, da sie nicht weit entfernt von der Steinkirche liegt (siehe Nr. 3 in der dortigen Abb. 1, UH 6/2021). Ihrer Bedeutung halber wird sie in einem eigenen Beitrag gewürdigt. Die Karsthöhle im Zechstein-Dolomit, der vor etwa 255 Mio. Jahre entstand, wurde früher Scharzfelder Höhle oder Einhornloch genannt (REINBOTH & VLADI 1980). In einem Vertrag zwischen Philipp von Grubenhagen und Ernst von Hohnstein wurde sie 1541 als Querchholer (Zwergenloch) erstmalig erwähnt. Die Schilderung der Einhornhöhle durch den Chronisten Johannes Letzner 1583 gibt Jägerfeld 1986 wieder. Letzner erwähnt Befahrungen der Höhle bereits im 15. Jahrhundert und vermerkt die Unsitte der Besucher, sich auf den Felswänden mit Namen und Jahreszahl zu verewigen. Der Name Einhorn wurde schon damals der Höhle beigelegt, denn Letzner schreibt: „Die Landstreicher und Leutbetrieger [...] langen sich die Todtengebein daraus und verkauffen den albernen Beirinnen für Einhorren.“ (Beirinnen = Bäuerinnen; Einhorren = Einhorn; REINBOTH & VLADI 1980). Die zahlreichen Knochenfunde aus der Einhornhöhle wurden allerdings schon 1651/56 durch den Kieler Arzt und Anatom Johann Daniel Horst als Reste von Bären, Löwen und Menschen bestimmt (Vladi 1984). 1663 wurden bei Quedlinburg fossile Knochen und Horn gefunden, die Otto von Guericke 1672 als zu einem Einhorn gehörig interpretierte. Daraus schuf ein unbekannter Künstler die Rekonstruktion eines Einhornskeletts, die Leibniz übernahm (Taf. XII in seiner Protogaea; Reinboth, 2001). Zu diesem Einhorn-Skelett bemerkte bereits 1790 der Anatom Thomas Sömmering: „Ich trage kein Bedenken, sie für gänzlich fingirt auszugeben“. Derjenige, der das Einhorn rekonstruiert hat, hatte offensichtlich geringe anatomische Kenntnisse: das komplette Hinterteil dieses vermeintlichen Tieres fehlt, abgesehen von einem Ausläufer wie bei einem Skorpion-Stachel. Auch der große Leibniz hat das nicht weiter hinterfragt!
Die vermeintlich ältesten Beschreibungen der Einhornhöhle sollen laut Karl BÜRGER (1931) 1656 der hallische Superintendent Gottfried Olearius und die Gebrüder von Alvensleben verfasst haben, deren Begleiter Olearius war (ALVENSLEBEN 1656). Diese sprechen von der Schartenfelser Höhle. Leibniz, der Kolporteur des Einhorns, besuchte die Höhle 1685, die er in seiner Protogaea Zwergenloch
nennt. Der Ilfelder Rektor Albert Ritter verfertigte 1719/27 einen ersten Plan der Einhornhöhle, der von Brückmann 1734 in seine Epistola itineraria XXXIV aufgenommen wurde (Wiedergabe bei REINBOTH 1978).

Abb. 1: Ramberg, Johann Heinrich: „Höle bei Scharzfels wie sich solche von innen heraus nicht weit vom Eingange darstellet". Bister-Zeichnung, laviert, 1780. Nieders. Landesmuseum. Hannover, Kupferstichkabinett, P. Hz. 204.

Abb. 2: Kraus, Georg Melchior: Eingang der Einhornhöhle von innen (1784). Kreide in schwarz, teilweise gewischt. Klassik-Stiftung Weimar. [Inv. Nr. KHz/AK1157]. Beschriftung Goethe: „g. Kalkhöhle von oben beleuchtet“

Abb. 3: Besemann, Christian Andreas: Der Eingang in die Einhorns-Höhle bey Schartzfeld, von innen gesehen. in: Ansichten vom Hartz, hrsg. von C. E. Eberlein 1802/03. [SUB Göttingen, GR2 H GERM 1,245 (3) RARA].

Ramberg hat eine Zeichnung der Einhornhöhle an der markanten Stelle nach dem Eingang angefertigt, an der bereits in alter Zeit die Höhlendecke eingebrochen war, und man durch das Loch in den Himmel blickt. Man sieht außerdem die Treppe, die in die Höhle führt, rechts von dem Schuttkegel des Deckeneinsturzes. Ramberg bezeichnete das Blatt mit: „Höle bei Scharzfels wie sich solche von innen heraus nicht weit vom Eingange darstellet“ (Abb.1). Im Vordergrund stehen zwei Männer, die mit einem Pickel gerade einen großen Knochen aus der Bodenschicht gelöst haben. Georg Melchior Kraus, der zusammen mit Goethe die Höhle vier Jahre später besuchte, hat eine Skizze von dieser Stelle angefertigt, die den Schuttkegel mehr in die Mitte rückt. Man erkennt gerade noch die Öffnung nach oben (Abb. 2). Zwanzig Jahre später hat Christian Andreas Besemann diese Situation nochmals gezeichnet, allerdings wirkt bei ihm der Raum etwas disproportioniert in die Länge gezogen und vom Betrachter distanziert (Abb.3). Bei Ramberg steht der Betrachter dagegen mitten drin im Raum, der ihn umfängt.
Ramberg hat es sich nicht nehmen lassen, eine zweite Zeichnung anzufertigen, bei der er nun von der Treppe aus in den Raum blickt (Abb. 4, s. S. 130). Diese Zeichnung ist deutlich größer als alle anderen in seiner Harz-Mappe und erheischt damit besondere Aufmerksamkeit. Den weiteren Verlauf der Höhle, wie er etwa auf dem Plan von Albert Ritter zu sehen ist, hat Ramberg nicht in einer Zeichnung erfasst, vermutlich, weil ihm das Licht der Unschlittlampen oder Fackeln für eine Skizze nicht ausreichte (entsprechendes gilt später auch für seine zeichnerische Erfassung der Baumannshöhle). Von Pascha Weitsch sind keine Zeichnungen der Einhornhöhle bekannt, aber der bereits erwähnte Georg Melchior Kraus hat ebenfalls eine zweite Zeichnung vorgelegt, die von der Situation her derjenigen von Rambergs großer Zeichnung ähnlich ist (Abb. 5).

Abb. 5: Kraus, Georg Melchior: Inneres der Einhornhöhle im Harz (1784). Bleistift- und Kreidezeichnung, tuschlaviert. Klassik-Stiftung Weimar. [Inv. Nr. KHz/ AK2420]. LA 12, Taf. XXV12

Man muss feststellen, dass Georg Melchior Kraus den Höhlenraum nochmal eindrucksvoller dargestellt hat als Ramberg (vgl. Abb. 5 mit Abb. 3). Dies mag an der noch besser gelungenen Raumerfassung bei Kraus liegen, die die Höhle fast wie einen Dom erscheinen lässt und daran, dass er die Menschen (im Vordergrund) viel kleiner darstellt, was den Raum, trotz des kleineren Blattformats, nochmals großartiger erscheinen lässt.

Abb. 4: Ramberg, Johann Heinrich: „Höle bey Scharzfels wie solche da wo der Boden oben nicht weit vom Eingange eingefallen ist nach innen zu aussieht.“ Bister-Zeichnung, laviert, 1780. Nieders. Landesmuseum Hannover, Kupferstichkabinett, P. Hz. 203.

Aufnahmen der Zeichnungen Rambergs vom Verfasser.

Literatur
ALVENSLEBEN, GEBR. VON: Beschreibung des Brockenbergs, Reinsteins, Baumannshöhle, Hartzes etc. ../und der dahin verbrachten Reise 1656. Hs. aus Lehnsarchiv der von Alvensleben in Erxleben. [Herrschaftsarchiv. Stolberg-Wernigerode, Rep. H. Erxleben II, Nr. 952].
LEIBNITIUS, GODEFRIDUS GUILIELMUS [Leibniz, Gottfried Wilhelm]: [Protogaea:] Summi Polyhistoris Godefridi Guilielmi Leibnitii Protogaea Sive De Prima Facie Telluris Et Antiquissimae Historiae Vestigiis In Ipsis Naturae Monumentis Dissertatio Ex Schedis Manuscriptis Viri Illustris / In Lucem Edita A Christiano Ludovico Scheidio. Goettingae: Sumptibus Joh. Guil. Schmidii 1749. XXVI, 86 S., 12 Kupfertafeln. Darin Taf. XII: Rekonstruiertes Einhornskelett. [NLB Hannover, Leibn. 211].
BÜRGER, KARL: Die älteste Beschreibung der Einhornhöhle. ZHarzV, Jg. 64 (1931), S. 175-179. [Handschrift genannt in Ders.: Des hallischen Superintendenten Olearius Besuch der Baumannshöhle. ZHarzV, Jg. 62 (1929), S. 172-180, S. 172].
REINBOTH, FRIEDRICH: Die Darstellungen der Einhornhöhle bei Scharzfeld von der frühwissenschaftlichen Zeit bis zur Gegenwart. HarzZ, Jg. 30 (1978), S. 45-68, Taf. IV-XIU.
REINBOTH, FRIEDRICH; VLADI, FIROUZ: Johannes Letzners Beschreibung der Steinkirche und der Einhornhöhle bei Scharzfeld. HarzZ, Jg. 32 (1980), S. 77-91.
VLADI, FIROUZ: Führer durch die Einhornhöhle bei Scharzfeld am Südharz / Text und Gestaltung: F. Vladi. Hrsg. Harzklub-Zweigverein Scharzfeld. 2., verb. u. überarb. Aufl. Herzberg, 1984.
Jägerfeld, Karl: Die Einhornhöhle bei Scharzfeld am Südharz. Unser Harz, Jg. 34 (1986), Chronik, S. 44.
REINBOTH, FRITZ: Über das „vermeynte bei Quedlinburg gefundene Einhorn“ - ein Beitrag zur Geschichte der Paläontologie und zur Leibnizforschung. Mitt. Verb. dt. Höhlen- u. Karstforscher, Jg. 47 (2001), H. 4, S. 106-107. https://www.karstwanderweg.de/publika/vdhk/47/106-107/ index.htm, 15.9.2020.


Quelle: Unser Harz (7):128 – 130, Clausthal-Zellerfeld 2021

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