Mitt. Verb. dt. Höhlen- u. Karstforscher
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101-102
München 2021

Christel Völker zum 75. Geburtstag

Es scheint ein Zeitraum zu sein, wo sich runde Geburtstage häufen und der Schriftleiter der Mitteilungshefte sich erinnerte, dass am 30. Mai 2021 schon wieder ein Geburtstag vor der Tür steht, den er eigentlich ankündigen und in diesem Fall die Jubilarin auch lobhudeln müsse. Da das Geburtstagskind Christel Völker aber fast nie ohne den begleitenden Mann gesehen worden ist, wurde diesem vom Schriftleiter der Auftrag erteilt, mal ein paar Zeilen zu schreiben, Überragendes zu nennen und Unwesentliches wegzulassen. Und das will dieser tun, wobei auffällig ist, dass Christels Höhlenforscherleben auch das meine ist und sich die Erlebnisse nicht trennen lassen.
Christel und ich lernten uns 1965 beim Studium der Geologie kennen und als ich an einem Wochenende beschloss, einen alten Bergbaustollen im Erzgebirge zu befahren, wollte sie, um der Langweile des Wochenendes zu entkommen, mitkommen. Im finsteren Stollen reichte ich ihr mehrfach über Pfützen und Gesenke die Hand und es entstand in mir der dringende Wunsch, diese Frau auf längere Zeit festzuhalten und an mich zu binden, denn sie fand die Dunkelheit, die Nässe und den unvermeidbaren Dreck „schön“. Ein Indikator für eine bleibende Beziehung zwischen uns war eine Befahrung der damals extrem schlammigen und nassen Schusterhöhle im Nordkyffhäuser, meiner damaligen „Haushöhle“. Das war Christels erste echte und wilde Höhle und als sie das auch noch schön und abenteuerlich fand, konnte ich auf die kurz danach gestellte Frage, ob ich sie auch heiraten würde, nur ja sagen. Wir zogen nach Mecklenburg, weit weg von jeder Karstgegend. Die Herausforderung „Thermokarst“ fanden wir zwar nett, aber nicht unbedingt dem echten Karst ebenbürtig. So kam es, dass wir fast jedes Wochenende mit unseren dort neu etablierten Höhlenfreunden Ingrid und Jürgen Marr und Inge und Peter Weinert zur Erforschung der Schusterhöhle 500 km in den Süden fuhren, dort vermaßen, fotografierten, Tracerversuche durchführten und dafür sorgten, dass die Schusterhöhle bestimmt die am besten erforschte Höhle des Kyffhäusers wurde.
Die Arbeiten an der Schusterhöhle liefen über Jahre und Christel war immer hin- und hergerissen, in Neubrandenburg ihren Haushalt zu erledigen, unser gemeinsames Kind zu erziehen, natürlich noch auf Arbeit zu gehen (sie arbeitete speziell als Bodengutachterin) und dann schon wieder die Vorbereitungen auf den nächsten Schusterhöhleneinsatz zu beginnen.

Christel beim Aufmessen aller Facetten in der Schusterhöhle 1972;
Foto Reiner Völker.

Deshalb ließen wir uns schließlich 1979 erweichen, an der Heimkehle das Karstmuseum aufbauen zu wollen, und Christel nahm unter Tränen von ihrer geliebten Mecklenburger Landschaft und ihrer interessanten Arbeit Abschied, um mit mir einen Neuanfang zu wagen.
Karstmuseum hieß auch Heimkehle und Arbeitskreis Höhlenforschung. Christels Lieblingsbeschäftigung in der Heimkehle wurden bald die Fledermäuse und weil es zu dieser Zeit noch keine regionalen Fledermausgurus gab, konnte sie sich frei entfalten. Sie schlich nächtelang regelmäßig in der Höhle herum, leuchtete in jede Spalte und bemühte sich, die Tiere nicht zu wecken. Für damalige Zeiten kam sie zu ersten sensationellen Daten und Erkenntnissen. Sie beklagte allerdings immer, dass sie körperlich zu klein sei und nicht überall hinreiche.

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Fledermauszählung 1985; Foto Reiner Völker.


Rio Secreto, Yukatan, Mexiko, 2013; Foto Reiner Völker.

Christel ist sehr geduldig und in der Lage, alte Schriften zu lesen. Über Jahre besuchte sie regelmäßig die Archive und las die in Schrift und Ausdruck aus heutiger Sicht unverständlichen Niederschriften und schrieb das alles in leserlicher Schrift nieder. Viele der 22 Schriften des Karstmuseums basieren auf diesen Niederschriften und keiner weiß heute mehr, dass auch viele der Erkenntnisse über Schlotten aus Christels Übersetzungen stammen, denn dieses Wissen stammt selten aus Bergakten, sondern meist aus uralten Gerichtsakten.
Unwesentlich ist es bestimmt auch nicht, dass sie bei den vielen nationalen und internationalen Höhlenforschertreffen an der Heimkehle die größte Last in der Betreuung der Leute zu tragen hatte, denn an manchen Tagen sprangen bis zu 15 Leute gleichzeitig in unserem Haus in Küche, Bad und Toilette herum. Auf unzähligen Expeditionen in große und kleine Höhlen Bulgariens, Ungarns, Tschechiens, der Slowakei und der Ukraine kroch sie als „Schlankeste“ durch die engsten Schlufe und ließ sich selbst noch bei 3,5% CO2 in die mehrere hundert Meter tiefen Schächte des Bakonygebirges hinab, was wir gestandenen Mannsbilder angesichts größerer Leibesfülle dankend ablehnten.
Ich soll nicht so viel schreiben, hat mich der Schriftleiter gemahnt, auch wenn mir jetzt beim Formulieren noch so viel einfällt. Und jetzt sind wir gerade dabei, wieder in eine Höhle aufzubrechen. Christel ist immer noch grazil, sportlich und neugierig, hat also den speläologischen Höhepunkt noch nicht überschritten. Die Fortsetzung schreiben wir zu ihrem Achtzigsten.

Verfasst von Christels Mann Reiner Völker, der tragischerweise vor Erscheinen dieses Textes verstarb (siehe Nachruf in VdHK-Mitteilungen 1/2021).


Wir danken der Schriftleitung der Mitteilungen des Verbandes deutscher Höhlen- und Karstforscher für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag ebenfalls veröffentlichen zu dürfen. Weiterer Nachdruck oder Veröffentlichung bzw. Verbreitung in anderen elektronischen Medien nur mit schriftlicher Genehmigung der Schriftleitung.

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