Re: Aktuelle Gipsabbauprobleme im Landkreis Nordhausen


Abgeschickt von Friedhart Knolle am 27 Mai, 2007 um 20:57:10

 Antwort auf: Re: Aktuelle Gipsabbauprobleme im Landkreis Nordhausen von Michael Weitemeyer am 11 Mai, 2007 um 21:37:40

 Neues aus Niedersachswerfen:

"Wenn der Sprengmeister kommt"

Eigentlich schien die Sache schon erledigt, als Ministerpräsident Althaus im Wahlkampf 2004 versprach, dass der Gipsabbau im Südharz nicht erweitert würde. Doch mit der Genehmigung neuer Steinbrüche ist ein heftiger Streit zwischen Anwohnern und der Regierung entbrannt, der demnächst den Landtag und die Gerichte beschäftigen wird - und vielleicht sogar den Bundestag.

NIEDERSACHSWERFEN. Aus der Ferne wirkt das Streitobjekt fast schon idyllisch. Der Gips strahlt weiß im Sonnenlicht zwischen blühendem Raps und dichten Laubwäldern. Näher heran darf der Besuch aus Berlin aber nicht. Verbotsschilder verhindern dies. Und so konnte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) dieser Tage auch nur erahnen, wie groß die gerodete Waldfläche für den neuen Steinbruch tatsächlich ist. Hier genehmigte das Landesbergamt im November den Tagebau "Himmelsberg". Rund zwei Monate später wurden 1,2 Hektar Wald gefällt. "Das ist illegal", schimpft Jochen Napiralla (parteilos), Bürgermeister der benachbarten Gemeinde Niedersachswerfen - und stellt deshalb Strafanzeige. Denn sein Widerspruch sei von der Behörde ignoriert worden. Der Zuspruch für die Klage ist groß - und parteiübergreifend. So sagte nicht nur die Thüringer Grünen-Chefin ihre Unterstützung zu, sondern auch Nordhausens CDU-Landrat Joachim Claus, der seinen regierenden Parteikollegen Widerstand ankündigte. Auch Dagmar Becker, umweltpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag, protestiert. "Wir werden das Thema Ende Mai im Umweltausschuss behandeln", sagt sie gegenüber TA. Sogar im Bundestag könnte es demnächst eine Rolle spielen. Dafür will sich Göring-Eckardt einsetzen, versprach sie. Es geht jedoch um mehr als nur die Erweiterung des einen Tagebaus. Denn die momentane Abbaufläche von insgesamt 640 Hektar an mehreren Standorten könnte sich in den nächsten Jahren verdoppeln, fürchtet Napiralla. Zumindest wenn die Landesregierung weitere Zugeständnisse an die weltweit operierenden Gipskonzerne machen sollte. "Das wäre eine Katastrophe für die Region", warnt er. "Aber wir werden gegen jeden einzelnen Steinbruch kämpfen - ob es aussichtsreich ist oder nicht", sagt er trotzig. Es gelte eine Landschaft zu bewahren, deren Flora und Fauna einzigartig sei. Doch die Landesregierung kümmert das wenig, ist die Meinung im Südharz. Nicht ganz unbegründet. Denn bei dem geplanten Abbaufeld, das direkt an ein europäisches Naturschutzgebiet grenzt, wird es nicht bleiben - geht es nach dem Willen von Wirtschaftsminister Jürgen Reinholz (CDU). "Lieber Peter", beginnt sein Schreiben an den Präsidenten der Regionalen Planungsgemeinschaft, Peter Hengstermann, und endet mit der Empfehlung, den Tagebau auch in die andere Richtung zu erweitern. Seinen Plan habe er mit dem Ministerpräsidenten und Umweltminister Volker Sklenar abgestimmt. Rund 30 Arbeitsplätze würden damit gesichert, sagt der Minister, der auch für den Tourismus im Land zuständig ist. Den sehe er aber nicht gefährdet, sagt er auf Anfrage. "Man muss nun mal abwägen." Das tun Umweltschützer und Anwohner auch, doch ziehen sie andere Schlüsse. Nicht nur die einmalige Karstlandschaft sei bedroht, sondern auch der für die Region so wichtige Wirtschaftsfaktor Fremdenverkehr. Der Transport des Rohstoffes durch Schwertransporter belaste viele Gemeinden, wie Neustadt, einer der ältesten Luftkurorte Thüringens. "Dort allein arbeiten", erklärt Dieter Bökert, stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreises Gipskarst, "200 Menschen in der Tourismusbranche." Wie Reinholz, der selbst in der Nähe des Gipsgebietes wohnt, auf den Erhalt von 30 Arbeitsplätzen kommt, ist ihm ein Rätsel. "In einem Tagebau arbeiten zwei Menschen", sagt Bökert. Einmal in der Woche wären es drei - wenn der Sprengmeister kommt. Für die internationalen Konzerne indes, die den Gips in erster Linie für die Zementherstellung nutzen, ist der Südharz überaus lukrativ. Denn dort liegt der Rohstoff nur wenige Meter unter der Erdoberfläche. Die Gipsgewinnung ist dementsprechend billig. Und auch langfristig möglich, da die Region auf einem rund 100 Kilometer langen Gürtel die größten oberirdischen Gipsvorkommen Europas bietet. "Die Regierung verhökert unsere Landschaft", sagt die Chefin des Arbeitskreises, Gabriela Sennecke. 40 Cent pro Tonne geförderten Gips erhalte das Land. 40 000 Euro springen nach ihrer Berechnung am Ende heraus. In Niedersachswerfen versteht man diesen Handel einfach nicht. Insgesamt drei öffentliche Briefe schickten die Gemeinde Niedersachswerfen und der Arbeitskreis Gipskarst deshalb an den Ministerpräsidenten. Auf eine Antwort aus Erfurt warten sie allerdings noch immer."

Von Alexander DEL REGNO
Thüringer Allgemeine
16.5.2007

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