...auch in Göttingen : Sorgen um den Gipskarst !


Abgeschickt von Hartwig Ehlert am 07 Mai, 2008 um 00:31:15

 Die Biologische Schutzgemeinschaft Göttingen hat schon mehrere gut besuchte Exkursionen in die niedersächsische und thüringer Karstregion des Südharz unternommen, um auf ihren einmaligen Wert und ihre aktuelle Bedrohung überregional aufmerksam zu machen. Wir hofften, daß nach dem Stoppsignal von Althaus 2004 gegen die maßlosen Ansprüche der Gipsabbauer (die sogar vor Arealen von höchstem Schutzwert wie der Rüdigsdorfer Schweiz nicht haltmachten) und nach der FFH-Ausweisung der wertvollsten Flächen nun endlich Ruhe in diese gebeutelte Region käme. Daher sind wir äußerst alarmiert durch die neuen Pläne zu einem Gipswerk in Cleysingen und damit verbundenen neuen Abbauten am Rand der Rüdigsdorfer Schweiz bzw. im Kammerforst, und ganz besonders durch die schon genehmigte und mit Abholzungen in Angriff genommene Erweiterung des Gipsbruchs Rüsselsee, die ausgerechnet den natürlichen Verbindungskorridor zwischen Himmel- und Mühlberg zerstört, also zwei der hochrangigsten NSG des ganzen Südharz negativ tangiert! Da hier weder nachhaltige Arbeitsplätze geschaffen (eher zerstört!) werden noch eine notwendige Ressource gewonnen wird (Naturgips ist voll ersetzbar durch REA-Gips), bleibt nur das private Finanzinteresse zweier multinationaler Konzerne (BPB und Heidelberger Zement) - dem gegenüber Werte von überragendem öffentlichen Rang stehen :
- der Anschauungs- und Erholungswert für Umwelt- und Freizeitpädagogik
- der wissenschaftliche Wert für die Naturforschung
- der wirtschaftliche Wert für sanften Tourismus und Lokalgewerbe
- der Naturschutzwert der in Europa einzigartigen Gipskarst-Landschaft!
Der Schutzwert begründet sich nicht nur durch die seltenen Geotope und die bedrohten Tier-, Pflanzen- und Pilzarten hier, sondern auch durch ihre Lebensgemeinschaften, die ein komplexes Mosaik mit oft gipsspezifischen Varianten bilden. Daher zerstört jedes Abbauprojekt hier einmalige und nicht durch künstliche "Renaturierung" gleichwertig ersetzbare Lebenskomplexe! Ein Flächendeal, bei dem von der individuellen Eigenart der betroffenen Geo-/Biotope und ihrer Lebensgemeinschaften abgesehen wird, ignoriert diesen Sachverhalt.So kann etwa der heute geschützte Mühlberg keinesfalls den Verlust des komplett zerstörten Kohnstein aufwiegen, denn beide sind (bzw. waren) in ihrer Artenausstattung und ökologischen Ausprägung einmalige Individuen aufgrund einer je eigenen Jahrtausende währenden Geschichte! - Darüberhinaus liegt der Schutzwert des Gipskarst auch in seiner Funktion als "Experimentierstätte der Evolution" : Wenn Thüringen der "Kreuzweg der Blumen" genannt wird, weil sich hier Arten begegnen, die in nacheiszeitlichen Kälte- bzw. Wärmephasen süd- bzw. nordwärts gewandert sind, so gilt dies ganz besonders für den Südharzkarst. Der später sich dichter schließende Wald verdrängte diese meist lichthungrigen Arten auf wenige waldfreie Sonderstandorte (z.B.auf instabilem Gips), wo sie wie auf Inseln im Waldmeer überlebten. Durch die Unterbrechung des Gen-Austauschs mit der Hauptpopulation entwickelten sich hier eigenständige Genome - Vorstufen neue(endemischer) Arten. Wenn heute mit der menschlichen Expansion und dem Klimawandel die Hauptpopulationen dieser Arten in Bedrängnis kommen (etwa durch Übernutzung und Verwüstung der Steppen oder Überwärmung der Hochgebirge), dann könnten gerade ihre kleinen Vorposten-Populationen für den Arterhalt wichtig werden, weil sie schon besser an die neuen Klimabedingungen vorangepasst sind.Wenn aber ihre Sonderbiotope durch Abbau zu sehr reduziert werden, verarmt auch ihr Genom, so daß ihr Überlebenswert für die Art wieder sinkt. Dieser Evolutionswert von Reliktstandorten wird häufig übersehen - langfristig dürte er aber entscheidend sein.
Nimmt man all diese Werte des Südharzkarst für Mensch und Natur zusammen, so müßte es der Politik doch leichtfallen, sie gegen das einseitige Finanzinteresse der Konzerne sach- und sozialadäquat abzuwägen und dem Erhalt dieser Landschaft ein klares Übergewicht zuzuerkennen ! Gerade dem Thüringer Gipskarst sind in der Vergangenheit durch Kriegs- und Planwirtschaft unheilbare Wunden geschlagen worden, so daß künftig jede Konzession an neue Zerstörungsvorhaben abzulehnen ist.Wenn Althaus`Zusage, keine neuen Abbauflächen zu genehmigen, wirklich eine Wertentscheidung im Sinne von Gemeinwohl und Nachhaltigkeit war, dann muß man die erneute Genehmigung leider als Rückfall in bloß taktischen Opportunismus und Kurzfristdenken werten.Das legitime Eigentumsinteresse der Unternehmen ist natürlich zu entschädigen, was bei entsprechendem politischen Willen möglich wäre. Es geht um geordneten Rückzug aus unhaltbar gewordenen Positionen - die Politik ist gefordert, diesen überfälligen Prozeß endlich tatkräftig und verläßlich zu unterstützen !

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