Vernichtet durch Gipsabbau


Abgeschickt von Bodo Schwarzberg am 23 August, 2012 um 20:34:53

 Vernichtet durch Gipsabbau (2)
Am 15.3. berichtete ich in der nnz über einige Pflanzenarten, von denen Standorte durch den Gipsabbau im Landkreis Nordhausen vernichtet wurden. Eine dieser Arten möchte ich Ihnen heute etwas näher vorstellen, weil ihr Beispiel erstens zeigt, mit welchen Mitteln schon damals gearbeitet wurde, um Abbauwünsche durchzusetzen, aber auch, wie es einigen Enthusiasten gelang, die Art Alpen-Gänsekresse für die damalige DDR zu erhalten. Die Alpen-Gänsekresse (Arabis alpina) gilt als arktisch-alpines Glazialrelikt, das im Zuge der letzten Eiszeit vor mehr als 10.000 Jahren von ihren Haupt-Verbreitungsgebieten in den Alpen in niedriger gelegene Landesteile einwanderte und an kühlen, kalkreichen Schotterstandorten die Zeiten überdauerte. Allerdings hört man auch, dass sie sich angeblich schon VOR der letzten Eiszeit im Gebiet befunden haben könnte.
Außerhalb der Alpen ist die Kühle liebende Alpen-Gänsekresse in Deutschland eine Rarität mit nur ganz wenigen Standorten. Im heutigen Landkreis Nordhausen wurde sie vom Norhäuser Botaniker WALLROTH im Jahre 1840 entdeckt. Sie galt auch hier schon früher als sehr selten. Ihr einziger natürlicher Standort im Abbaugebiet des Ellricher Gipswerks wurde zu DDR-Zeiten als Flächennaturdenkmal gesichert. Das jedoch hielt den damaligen VEB Harzer Gipswerke Rottleberode, Werk Ellrich, im Jahre 1979 nicht davon ab, den Standort im Interesse des Gipsabbaus zu zerstören: Der langjährige Kreisnaturschutzbeauftragte und angesehene Nordhäuser Dr. Walter Elmer beschrieb in für DDR-Verhältnisse klaren Worten (Überschrift: "'Naturdenkmal Alpengänsekresse" zerstört!"), wie es dazu kam (Landschaftspflege und Naturschutz in Thüringen, Heft 3 / 1980, S. 80): "Er (der Direktor des VEB-B.S.) beantragte zwar die Löschung des FND aus angeblich zwingenden betrieblichen Gründen, wartete aber die Entscheidung des Rates des Kreises Nordhausen nicht ab und ließ den Standort der Alpen-Gänsekresse mit Abraum übererden."
Der Leiter wurde vom Rat des Kreises daraufhin zur Zahlung von sagenhaften 100 Mark Ordnungsstrafe veranlagt. In der Roten Liste des Jahres 1980 wurde die Alpen-Gänsekresse kurzzeitig als "ausgestorben" für die damaligen Bezirke Erfurt, Gera und Suhl geführt (an ihren natürlichen Standorten).
Dass sie dennoch für die DDR nicht verloren war, ist mehreren Botanikern der Uni Halle (Dr. S. Rauschert und Dr. F. Ebel) und dem Ellricher Naturschützer Kurt Reinhard zu verdanken. Zwischen 1967 und 1979 hatten sie unter dem Eindruck der sich immer weiter vergrößernden Abbaufelder mit großem Einsatz einen weiteren Standort im Landkreis Nordhausen zu ihrer Erhaltung begründet, wofür sie im Botanischen Garten Halle eine Erhaltungskultur anlegten. An dem Ersatzstandort etablierte sich die Art und bringt auch heute noch alljährlich Blüten und Früchte hervor. Zudem wurde bereits 1980 von Kurt Reinhardt ein weiterer Standort ganz in der Nähe des 1979 vernichteten Standortes entdeckt, der wohl als natürlich anzusehen ist. In den heute im Raum Ellrich bestehenden Halden hat sich die Alpen-Gänsekresse nicht wieder angesiedelt. Zu sehr wurde das Mikroklima durch die Eingriffe verändert: gleichbleibend, kühl-feuchte Bedingungen, Helligkeit, kein Gehölzaufkommen, Schotterbewegung. All das benötigt diese Art.
Heute sind noch zwei Standorte der Alpen-Gänsekresse im Kreisgebiet und damit in Ostdeutschland bekannt, die jedoch nur noch zum Teil ihren natürlichen Lebensbedingungen entsprechen . Daher müssen sie regelmäßig gepflegt, das heißt, von aufkommenden Sträuchern befreit werden. An dem ab 1967 begründeten Ersatzstandort fand ich 2003 nur noch weniger als zehn Exemplare. Regelmäßig selbst durchgeführte Auflichtungen führten bis heute zu einer deutlichen Vergrößerung des Bestandes der Alpen-Gänsekresse. An ihren früheren natürlichen Standorten war dies nicht nötig, da sie sich durch natürlich nachrutschenden Gipsschotter von selbst gehölzfrei hielten. Die Zerstörung natürlicher Standorte zieht also nachfolgend einen großen Erhaltungsaufwand nach sich.
In der Roten Liste Thüringen wird die Art heute in der Kategorie 2 ("stark gefährdet") geführt.
Das Beispiel vom "Fall und der Rettung" dieser botanischen Kostbarkeit zeigt, wie wichtig es ist, stets ein waches Auge auf die noch immer bestehenden Abbauaktivitäten im Landkreis zu haben. Weiterhin wird die Bedeutung einer genau auf den jeweiligen Standort einer bedrohten Art abgestimmten Pflege deutlich und jene der langfristigen Planung von Erhaltungsmaßnahmen. Auch beweist der "Fall" Alpen-Gänsekresse, dass der Gipsabbau die Standorte der vielen sensiblen, auf Gips siedelnden Arten nachhaltig, also nicht wiederherstellbar vernichtet. Eine Wiederherstellung bzw. ein so genannter Ausgleich für die Zerstörung einer Jahrmillionen alten Landschaft ist Augenwischerei. Niemand sollte sich so etwas einreden lassen sondern lieber die Fakten akzeptieren. Ein "Ausgleich" des Gipsabbaus ist unmöglich.

Bodo Schwarzberg

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