Dr. Friedhart Knolle
 

NS-Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in den
Harzwäldern der Niedersächsischen Landesforsten


Anlass

Ausgelöst durch den Fund des Arbeitsbuchs einer sowjetrussischen Kulturfrau, die im früheren Forstamt Langelsheim Zwangsarbeit leisten musste (Knolle 2007), wurde die zu diesem Thema vorliegende spärliche Literatur recherchiert und Zeitzeugenbefragungen durchgeführt.

Aus dem in Langelsheim aufgefundenen Arbeitsbuch einer Zwangsarbeiterin, die bis zum Kriegsende im Forstamt Langelsheim gearbeitet hat (Archiv Spurensuche Harzregion e.V.)

Der 2010 verstorbene frühere Amtsleiter des Staatlichen Forstamts Andreasberg, Forstdirektor Kurt Reulecke, berichtete dem Autor am 26.1.2002, dass er in einem Fronturlaub im Zweiten Weltkrieg einen französischen Kriegsgefangenen im Forstamt Walkenried beim Wildern erwischte. Als er den Fall bei der Polizei zur Anzeige brachte, fragte der Beamte: „Warum haben Sie ihn nicht gleich erschossen?“
 

Niedersächsische Landesforsten

Solchermaßen neugierig gemacht, wurden 2002 Anfragen an die Niedersächsischen Landesforsten gerichtet, ob zu diesem Thema weitere Unterlagen bekannt seien. Die Antworten machten deutlich, dass zwar Informationen vorliegen, sich aber bislang niemand systematisch mit diesem Thema befasst hatte und dass das damals offenbar auch nicht geplant war. Im Gegensatz zur Aufbereitung dieses dunklen Kapitels der Harzgeschichte in vielen Betrieben, Kommunen und bei anderen Arbeitgebern der NS-Zeit haben es die Niedersächsischen Landesforsten bedauerlicherweise erst ab 2015 zögerlich unternommen, ihren Beitrag zur Aufhellung dieser Zeit zu leisten.

In eine breite Öffentlichkeit kam dieses Aufarbeitungsdefizit der Landesforsten, als das 70-jährige Jubiläum des Niedersächsischen Forstlichen Bildungszentrums (NFBz) anstand. Es wurde 1936 in Münchehof in der Nähe von Seesen am Harzrand als “Schulungslager für die deutsche Waldarbeit“ gegründet. In der Jubiläumsbroschüre der Niedersächsischen Landesforsten "Ein Erfolgsmodell wird siebzig" von 2006 wurde die NS-Geschichte völlig unkritisch dargestellt – man nannte nur die Jahreszahlen, kein einziger Kommentar wies auf die braune Vergangenheit hin. Es wurde sogar ein Foto mit einem NS-Funktionär mit gut sichtbarem Hakenkreuz am Arm abgebildet (Minister, später Generalforstmeister Alpers) – aber alles, ohne den historischen Bezug darzustellen. Auch wurde ein Rundbrief des Reichsforstmeisters von 1943 als Faksimile abgebildet – ebenfalls ohne Kommentar. Aber folgendes Zitat der Braunschweiger Tageszeitung über die Schönheit der NS-Architektur des Bildungszentrums war offenbar wichtig: "... schönen Fachwerksbau nach alter handwerklicher Kunst, der ... mit dem Wort Lager weiter nichts als den Begriff gemeinsam hat."

Seite 4 der zurückgezogenen Jubiläumsbroschüre der Niedersächsischen Landesforsten "Ein Erfolgsmodell wird siebzig" von 2006

Daraus entwickelte sich seinerzeit ein für die Landesforsten peinlicher Skandal – Politiker der Grünen fragten im Landtag nach, Ministerpräsident Wulff entschuldigte sich und ließ die Broschüre einziehen. Doch auch danach fassten die Landesforsten das Thema unverständlicherweise zunächst nicht an.
 

Stand des Wissens

Im Zuge der Recherchen ergaben sich dann mehr Hinweise zum Thema als zunächst erwartet – man kann feststellen, dass praktisch jedes Harzer Forstamt ein eigenes Kriegsgefangenenlager hatte, denn Holz war ein kriegswichtiger Rohstoff.

Vereinzelte Hinweise zum Einsatz von Kriegsgefangen in den heutigen Landesforsten sowie auch den kommunalen und anderen Forsten des Harzes gaben u.a. Baranowski (1995), Gattermann (2003), Fiedler & Ludewig (2003) und Artelt (2004).

Gebhardt (2004) listet folgende Lager auf:

Altenau, 25 Mann

Bad Harzburg, Außenlager Radautal, 50 Russen

Badenhausen, Saal Restaurant Kaiser, Kommando 1208

Braunlage, Schützenhaus, 80 Franzosen

Clausthal-Zellerfeld, Schützenhaus und Lager Sonne, max. 40 Mann, meist Serben

Clausthal-Zellerfeld, Neue Mühle, max. 65 Mann (Oberes Innerstetal, Lager des Forstamts Grund)

Göttingerode, Lager 3381

Hahnenklee, 40 Mann.

Herzberg, Lonauer Hammerhütte

Hohegeiß, 30 Mann

Lauterberg, Kupferhütte/Augenquelle

Lindthal, 20 Mann

Lonau, Langfast, 35 Russen

Neuekrug

Oderhaus, Rinderstall, 20 Mann

Oderteich, Skihütte des MTV Goslar, 30 Mann, zunächst Franzosen, ab 1942 Russen

Osterode

Riefensbeek

Sankt Andreasberg, Grube Samson, 35 Russen

Scharzfeld, Bahnhof

Schladen

Schulenberg, Sägerei Bramke, 30 Russen

Seesen, Schützenplatz, Kommando 1207, 25 Russen

Sieber, Gropenborn, 25 - 30 Russen

Tanne

Walkenried, 70 Mann aller Nationen

Wienrode, Arbeit in den Wäldern des Herzogs Ernst-August

Zorge, 26 Franzosen

Nach Hein & Küpper-Eichas (2006) waren 1941 vornehmlich französische und serbische Kriegsgefangene im Harz beschäftigt, ab 1942 kamen vermehrt russische und ab 1943 italienische Gefangene hinzu. Von 1944 - 1945 erfolgte der Einsatz zum Holzeinschlag unter der Regie der Organisation Todt. Die Unterbringung geschah in separaten Lagern. Um Fluchten zu verhindern, sollten nicht oder selten benutzte Schutzhütten abgebaut werden. Im Falle des Antreffens von Kriegsgefangenen ohne Aufsichtspersonal durfte von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden. Die Forstämter beklagten sich oft über die ungenügende Ausstattung der Kriegsgefangenen mit Kleidung und Schuhen und der Landesforstmeister Hildesheim stellte in einem Vermerk v. 16.12.1942 fest: „Bei der ärztlichen Untersuchung aller Kgf. im Bezirk (…) hat sich ergeben, daß mit wenigen Ausnahmen der Ernährungszustand der im Wald beschäftigten Kgf. besonders schlecht ist, sogar schlechter als in den Industriebetrieben“.

 

Literatur und Quellen

Artelt, P. (2004): Russische Gräber im und am Harz. – Allgemeiner Harz-Berg-Kalender 2005: 93 - 96

Baranowski, F. (1995): Geheime Rüstungsprojekte in Südniedersachsen und Thüringen während der NS-Zeit. – Duderstadt

Baranowski, F. (2013): Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands von 1929 bis 1945. Südniedersachsen mit Braunschweiger Land sowie Nordthüringen einschließlich des Südharzes – vergleichende Betrachtung des zeitlich versetzten Aufbaus zweier Rüstungszentren. – Verlag Rockstuhl, Bad Langensalza

Fiedler, G. & Ludewig, H.-U., Hrsg. (2003): Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft im Lande Braunschweig 1939 – 1945. – Quellen und Forschungen zur braunschweigischen Landesgeschichte 39, Braunschweig

Gattermann, C. H. (2003): Der Ausländereinsatz im Landkreis Osterode 1939 – 1945. – Harz-Forschungen 18, Wernigerode

Gebhardt, G. (2004): Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter des Zweiten Weltkrieges im Dienste des Harzer Forstwesens. – Unser Harz 52(6): 113 - 115

Hein, G. & Küpper-Eichas, C. (2006): Rüstung als Weg aus der Krise? Arbeit und Wirtschaft im Oberharz in der Zeit des Nationalsozialismus. – Montanregion Harz 7, Bochum

Janz, W. (2003): Erinnerungsstätten an Unmenschlichkeiten des Nationalsozialismus im Landkreis Goslar. – www.spurensuche-harzregion.de

Knolle, F. (1997): Zum nationalsozialistischen Lagersystem im Westharzgebiet - ein oft verdrängtes Stück Industrie- und Heimatgeschichte. – Unser Harz 45 (6): 106 - 108

Knolle, F. (2007): Holocaust-Gedenktag 2007. Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in der Region Langelsheim. – www.spurensuche-harzregion.de/?publikationen/54

Niedersächsische Landesforsten – Niedersächsisches Forstliches Bildungszentrum (2006): Ein Erfolgsmodell wird siebzig. – Braunschweig

NStA Wolfenbüttel: Akte "Waldarbeiterschulungslager Münchehof 1936 - 1947" mit 56 Lichtpausen und Zeichnungen

Studienkreis zur Erforschung und Vermittlung der Geschichte des Widerstandes 1933 - 1945 (Hrsg., 1985): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, 2, Niedersachsen I: Regierungsbezirke Braunschweig und Lüneburg. – Köln

Weinmann, M., Hrsg. (1990): Das nationalsozialistische Lagersystem (CCP). – 1. Aufl., Zweitausendeins, Frankfurt a. M. (kommentierter Nachdruck des “Catalogue of Camps and Prisons in Germany and German-Occupied Territories”)

www.spurensuche-harzregion.de

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