Horst Knoke, Herzberg am Harz

Der "Schacht" in der Höhlenkirche
(Steinkirche) bei Scharzfeld

 

Im Herbst 1997 ließ die Stadt Herzberg am Harz auf Anregung des Autors, stellv. Stadtdirektor von Herzberg, unter fachlicher Beratung des Kreisarchäologen Dr. S. Flindt und im Einvernehmen mit der Realgemeinde Scharzfeld den in der Steinkirche befindlichen "Schacht" im Rahmen einer zunächst befristeten, unter der Leitung eines erfahrenen Bergmannes des ehemaligen Erzbergwerks Bad Grund stehenden Arbeitsbeschaffungsmaßnahme von dem in Jahrzehnten dort hineingeworfenen Unrat säubern. Die Höhlenkirche (Abb.1) liegt unmittelbar an der westlichen Ortseinfahrt von Scharzfeld unweit der B27.

Im Zusammenhang mit diesen Arbeiten, bei denen bisher ca. 50 m³ Material (Unrat und Erdmaterial) aus dem Schacht eimerweise herausgefördert und im Nahbereich des Eingangs der Steinkirche einplaniert wurde, sind eine Schachttiefe von 17,50 m erreicht und zwei davon abzweigende, leicht ansteigende 10 bzw. 13 m lange natürliche Kluftgänge festgestellt worden, die anläßlich der Untersuchungen des bekannten Harzforschers Dr. Ing. Friedrich Stolberg im Jahr 1924 in dieser Länge nicht bekannt und daher nicht erforscht waren. Im Verlauf der Säuberungsarbeiten hat sich aufgrund einer an einer Dolomitwand vermerkten Jahreszahl allerdings herausgestellt, daß der Schacht offenbar bereits in den 20er oder 30er Jahren schon einmal bis in die gewachsenen geologischen Schichten hinein ausgeräumt worden war. Archäologische Befunde ließen sich deshalb bisher nicht feststellen.

Da die Arbeiten, die sich inzwischen auf die Freilegung bisher noch unbekannter, durch von außen eingeschwemmtes Feinmaterial (Dolomitsand und Löß) verhüllter Hohlräume konzentrieren, bisher noch nicht abgeschlossen sind, ist zu vermuten, daß dieser "rätselhafte" Schacht noch weitere Geheimnisse preisgibt; insbesondere ist nicht auszuschließen, daß er den Zugang zu ein den Steinberg durchziehendes Höhlensystem bildet. Näheren Aufschluß darüber wird die Fortsetzung der Arbeiten geben, durch die ferner auch die exakten geowissenschaftlichen Voraussetzungen für die Genese von Sedimentfallen in verkarsteten Bereichen erkundet und die Möglichkeit zu weiteren Aussagen hinsichtlich der Entwicklung der späteiszeitlichen Fauna geschaffen werden sollen.

Abb. 1: Der Eingang zur Steinkirche von Scharzfeld.

Die aus 4 Mann bestehende Einsatzgruppe hat parallel zu den Arbeiten im "Schacht" zusätzlich die Schachtöffnung durch ein Gitter sowie das rechts vor dem Eingang der Steinkirche befindliche Steingrab durch eine Trockenmauer gesichert, den aus dem Mönchetal zur Steinkirche hinaufführenden Hangweg wieder in einen ordentlichen, begehbaren Zustand versetzt und zwei dort stehende Ruhebänke erneuert.

Entstehung und Geschichte der "Steinkirche"

Der bisherige Stand der Arbeiten gibt Veranlassung, nachfolgend einmal diese, soweit sie bisher bekannt ist, darzustellen: In ihrer heutigen Erscheinungsform und kulturgeschichtlichen Bedeutung kann die Steinkirche als eines der interessantesten und wichtigsten Kulturdenkmäler nicht nur des Harzes und des südniedersächsischen Berglandes, sondern ganz Niedersachsens angesprochen werden, wobei sich diese Bedeutung nicht allein auf die Funktion als sakraler Platz, d.h. als einer aus einer natürlichen Felsenhöhle umgestalteten Höhlenkirche, bezieht.

Der vom Mönchetal zur Steinkirche emporführende Weg endet in 260 m Höhe ü.NN auf einem Vorplatz, der vom Hang des Steinberges mit einer etwa 9 m senkrecht aufragenden Felswand begrenzt wird, an der deutliche Bearbeitungsspuren erkennbar sind. Gegen Süden bietet sich ein weiter Blick über die Niederung des Odertales und die Höhenzüge, die das südliche Harzvorland vom anschließenden Eichsfeld trennen.

Der Besucher der Steinkirche ist unwillkürlich versucht, sich vergangene, weit zurückliegende Zeiten zu vergegenwärtigen und Überlegungen über die Bedeutung der Steinkirche anzustellen:

Zahlreiche Sagen haben sich in der volkstümlichen Überlieferung gebildet. So wird z.B. in der von dem Ende des 16. Jh. in Iber (zwischen Northeim und Einbeck) lebenden Chronisten und Pfarrer Johann Letzner (1533 - 1613) um 1595 geschriebenen "Chronik des Klosters Walkenried" die Sage berichtet, daß "... ein Hirt die Kapelle zum 'Redernstein' mit eigenen Händen aus sonderlicher Andacht in den Steinfels gemacht habe. Es soll daselbst auch viel unerhörte Wunder sich begeben und zugetragen haben. Deretwegen ist dahin ein großer Zulauf gewesen, auch hat man dahin eine Wallfahrt gelegt, die überaus viel Volk beieinander gesehen hat...".

In der von Johann Karl Wächter im Jahre 1841 zu Hannover erschienenen "Statistik der im Königreich Hannover vorhandenen heidnischen Denkmäler" wird von einer anderen Sage über die Entstehung der Steinkirche berichtet, wonach z. Z. des Heidentums aus fremden Landen ein ehrwürdiger Eremit erschienen sei, der der versammelten Volksmenge die neue Lehre predigte. Als er jedoch die heidnischen Götter schmähte, sei er zum Tode verurteilt worden. Auf dem Wege zum Richtplatz habe der Greis einen der Umstehenden eine hölzerne Streitaxt aus der Hand gerissen, und mit den Worten "So gewiß als ich mit diesem schwachen Werkzeug dies Gestein spalte, und so gewiß dieses Holzzeug aus diesem unerschütterlichen Fels einen Tempel zur Verehrung des alleinigen Gottes schafft, ebenso gewiß und wahr ist das Wort des Evangeliums, welches ich euch predige" habe er den Fels gespalten. Durch dieses Wunder bewogen, habe sich die Versammlung sogleich zum christlichen Glauben bekehrt und die Aushöhlung des Gewölbes der Steinkirche zugelassen.

Nach einer anderen volkstümlichen Überlieferung soll die Steinkirche als das älteste Gotteshaus des Harzes im Jahre 732 von Bonifatius gegründet worden sein. Eine weitere Überlieferung bezieht sich auf den Schacht der Steinkirche und sieht darin gar eine unterirdische Verbindung zum etwa von 950 bis 1525 bestandenen Kloster Pöhlde.

All diese Überlieferungen sind in den Bereich der Sage zu verweisen - hierzu gehört auch die häufig geäußerte Meinung, die Steinkirche sei eine germanische Kultstätte gewesen. In diese Richtung bewegt sich auch ein im "Harzkurier" erschienener, nicht mehr zu datierender Pressebericht [von H. Rögener, Scharzfeld, und J. Siegert, Pöhlde], wonach "in der linken Grotte (gemeint ist die Felsenkammer; d. Verf.) ...der Steinkirche ...in den letzten Jahren ...durch Zufall die uralte Einmeißelung des 'Siebengestirns' (=Sternhaufen der Plejaden im Sternbild des Stier; d. Verf.) ..." und der "beiden rechts vom Siebengestirn nahestehenden Sterne (Sternbild des Perseus oder Widder?; d.Verf.) ...durch einen (namentlich nicht genannten) ...Pfarrer im Beisein von H. Rögener...entdeckt" worden sei und "durch einen Felsspalt ...zur bestimmten Abendstunde ...der Standort des Polarsterns" ...mit Hilfe "der Einmeißelung (habe) ermittelt werden" (können). -In seinem am 13. März 1981 im "Harzkurier" erschienenen Bericht erwähnt H. Rögener allerdings anstelle dessen das (angeblich gemeißelte) Sternbild des Großen Bären.

Leider sind aus dem frühen und hohen Mittelalter keine schriftlichen Nachrichten vorhanden, die über das Schicksal der Steinkirche nähere Auskunft geben könnten. So läßt sich bislang auch nicht feststellen, wann die ursprüngliche Spalthöhle künstlich zu einem weiten, hallenartigen Kirchenraum ausgearbeitet worden ist. Erst im 15. und insbesondere im 16. Jh. [vgl. Streitparth in: "Unser Harz" 1969, H. 9] findet die Steinkirche bei der Regelung von Besitzverhältnissen als "Kapelle im Ritterstein" mehrfach Erwähnung. Nach dem Jahr 1586 hat sie allerdings offensichtlich an Bedeutung verloren, denn seitdem wird sie in schriftlichen Nachrichten nicht mehr genannt. Seit wann sich schließlich der Name "Steinkirche" eingebürgert hat, ist unbekannt.

Der Vorhof der Steinkirche läßt kaum noch etwas von seiner ursprünglichen Beschaffenheit erkennen. Gewisse Veränderungen mögen bereits erfolgt sein, als die ursprüngliche Felsenhöhle (die eine jener Klufthöhlen war, wie sie in dem den Südharzrand umgebenden Zechsteingürtel häufig zu finden sind) zum Kirchenraum umgestaltet wurde. Tiefgreifende Veränderungen sind insbesondere bei einer unten näher beschriebenen unsystematisch durchgeführten Grabung im Jahre 1937 geschehen, bei der stellenweise Abtragungen bis zu 3 m Tiefe erfolgten. Ursprünglich bildete die Oberfläche des Vorhofes mit dem Eingang der Höhle nämlich eine fast gleichmäßige Ebene.

Die den Vorhof im Norden begrenzende Felswand weist eine 3,50 m breite, in den Fels gehauene Felsenkammer auf. Nach volkstümlicher Überlieferung soll sie einem Eremiten, der die Steinkirche betreut haben soll, als Wohnung gedient haben. Bearbeitungsspuren an den Felswänden zeigen deutlich, daß diese ursprünglich natürliche Nische künstlich erweitert worden ist. Das gleiche gilt für den daneben liegenden schmalen Durchlaß, der einen Weg zur Höhe des Steinberges freigibt. Unmittelbar neben diesem Durchlaß liegt der 6 m breite und ebenso hohe Eingang zur Steinkirche. Inwieweit seine rundbogenförmige Wölbung als ein Beweis dafür anzusehen ist, daß diese Ausweitung aus romanischer Zeit -was häufig behauptet wurde- entstanden ist, kann dahingestellt bleiben. Ursprünglich war dieser Eingang durch ein Tor verschlossen, denn deutlich sind auch heute noch die Anschlagfalze und die Löcher zum Einlassen von Dübeln, an denen das Tor verankert war, sichtbar. Rechts vom Eingang ist aus der senkrechten Felswand eine mit natürlicher Brüstung versehene Höhlung die Kanzel herausgearbeitet, zu der 3 Stufen emporführen. An der Nordwand der Höhle, in unmittelbarer Nähe des Einganges, befindet sich eine kleine Nische, die eine gotische Spitzbogenform aufweist. Sie hat vermutlich zur Aufnahme des Weihwasserbeckens gedient.

Das Innere der Höhle bietet sich heute dem Besucher als eine mächtige, in Halbdunkel gehüllte Halle dar. Der Maler Ludwig Richter (1803 -1884) hat mit seiner 1838 als Kupferstich erschienenen bekannten Zeichnung einen Eindruck über den Zustand der Steinkirche im vergangenen Jahrhundert vermittelt, als sie schon längst nicht mehr sakralen Zwecken diente. Das Bild läßt auf seiner rechten Bildhälfte deutlich die Nische für das Weihwasserbecken und an der den Vorhof begrenzenden Felswand die große Öffnung der Felsenkammer erkennen (Abb.2). An der linken Seite des Bildes führen 2 breite Steinstufen zu der natürlich entstandenen, aber auch künstlich überarbeiteten Felsennische, die als Altarraum angesprochen wird. Dieser ist in seiner Gestaltung heute noch genauso erhalten. Unmittelbar neben ihm befindet sich im Höhlenboden die viereckige, künstlich aufgeweitete Öffnung des im Rahmen der eingangs erwähnten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme wieder freigeräumten "Schachtes". Der Zweck des Schachtes, dessen Tiefe der eingangs genannte Harzforscher Dr. Stolberg im Jahr 1924 mit ca.10 m ermittelte [vgl.: "Die Höhlen des Harzes", Band 1; 1926], blieb dabei auch ihm ungewiß. Er zog die vage Möglichkeit einer Brunnenanlage in Erwägung. Doch eine derartige Zweckbestimmung wäre wohl im Innenraum einer Kirche nur schwerlich vorstellbar. Außerdem müßte ein Brunnen so tief in den Untergrund reichen, bis der Schacht wasserführende Schichten erreichen würde.
 

Abb. 2: Ludwig Richter - Kupferstich aus 1838
mit einem Blick aus der Steinkirche. Erläuterung im Text

Vielleicht können spätere Untersuchungen eine Klärung herbeiführen, soweit sich dies nicht bereits im Rahmen der derzeitigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ergibt.

Von der Stelle an, an der sich im Boden der Schacht befindet, verläuft durch die Höhlendecke ein tektonischer Spalt in nordöstlicher (herzynischer) Richtung, der an einer Stelle das Tageslicht einläßt. In dieser Öffnung soll sich - wie Pröhle in seinem Buch "Harzsagen" berichtet - eine Glocke befunden haben, die sich jetzt in der 1851 bis 1855 neu erbauten Kirche von Scharzfeld befindet.

Der eingangs erwähnte Chronist Johann Letzner (1533 -1613) berichtet dazu in seiner um 1576 erschienenen "Braunschweigisch - Lüneburgischen Chronik", daß "das Dorf Rodenbeck (das über die niederdeutsch verkürzte Schreibweise 'Rohnbeek - Rohmbeek' - vgl. auch Rotenbeeke in Romker Wasserfall - mit der kürzlich südlich des Dolomit-Steinbruchs Scharzfeld wiederentdeckten Wüstung 'Rohmke' identisch ist) ...gar verheret und zum Desolat gemacht wurden, das auch davon nichts übriges bleiben als eine Glocke, so noch itziger Zeit auf der (ursprünglichen; d. Verf.) Kirche im Dorf Schartfeldt urkundlich fürhanden und zu gebrauchen wird und werden folgende Wordt daran gelesen: 'vox mea, vox vite - voco vos ad sacra venite'. Das ist

'Mein stim ein stim des Lebens ist,
Ich ruffe euch, kompt zu dieser Frist,
Undt höret recht des Herm Wordt,
des habet ihr Heil, und euer Thun gehet vort'.
Es wird aber an der itz benannten Glocke keine Jarzahl befunden".

Letzteres trifft allerdings nicht zu, denn an der Glocke der Scharzfelder Kirche befindet sich die Jahreszahl MCCCCXXXIX = 1439.

Die Felsenhalle der Steinkirche besitzt eine Länge von 28 m und eine zwischen 7 und 9 m schwankenden Breite. Eine senkrechte Wand von 6,60 m größter Höhe schließt die Steinkirche im Hintergrund ab. Allerdings zeigt ein schmaler Spalt an, daß die ursprüngliche Höhle noch weiter in den Berg hineinführt und sich möglichenveise bis zu einem verstürzten Höhlenmundloch am Ritterstein fortsetzt. Die ursprüngliche Breite dieser ehemaligen Spalthöhle läßt sich auch heute noch ungefähr erkennen, denn sie ist (da die natürliche Höhle für einen Kirchenraum zu schmal war) nach Süden hin künstlich erweitert worden. Die Ausmaße dieser Erweiterung sind daran zu erkennen, daß der hierzu gehörende Teil des Höhlenbodens aus abgemeißelten Fels besteht, während er im allgemeinen aus Löß bzw. verwitterten Dolomitenboden gebildet wird. An der Höhlenrückwand ist der Erweiterungsteil ebenfalls noch an den deutlich sichtbaren Meißelspuren zu erkennen; sie sind ebenso noch an einer großen Fläche der Südwand sichtbar.

Diese alten Bearbeitungsspuren, die stets eine Schrägrichtung aufweisen, haben in der Vergangenheit einzelne interessierte Besucher dazu verleitet, unter ihnen germanische Runenzeichen zu erkennen. Bisher ist jedoch keine einzige echte Runenritzung festgestellt worden. Dennoch geht die Bedeutung der Steinkirche weit über die sakrale Funktion als frühchristliche Höhlenkirche hinaus.

Grabungsfunde im Bereich der "Steinkirche"
In den Jahren 1925, 1926 und 1928 wurden von dem Direktor des Provinzialmuseums (jetzt Niedersächsisches Landesmuseum) Hannover, Prof. Dr. K. H. Jacob-Friesen, planmäßige Untersuchungen vorgenommen, durch die die Bedeutung der Steinkirche als Kulturdenkmal deutlich wurde (Abb.3). Bereits bei seiner ersten Probegrabung im Jahre 1925 legte Jacob-Friesen Teile eines mittelalterlichen Friedhofs frei. Darunter folgte eine mächtig Schicht aus hellgelben Dolomitsand, dem Verwitterungsprodukt des anstehenden Dolomitfelsens. Sie enthielt Reste einer eiszeitlichen Steppentierwelt. Besonders wichtig waren aber einzelne Feuersteingeräte, sie wurden damals als die ersten sicher nachweisbaren Werkzeuge des Eiszeitmenschen im Gebiet der ehemaligen Provinz Hannover angesprochen.

Abb. 3: Aus der Steinkirche heraus fotografierter Eingang der Natursteinhöhle

Ergiebiger waren die umfangreichen Grabungen der Jahre 1926 und 1928. Neben Schieferresten und Dachziegelbruchstücken wurden in den obersten Schichten vor dem Höhleneingang einige sorgfältig bearbeitete Steine von gotischem Maßwerk gefunden, die darauf hindeuten, daß nach Entstehen der Höhlenkirche möglicherweise mehrfach Bauarbeiten vorgenommen worden sind. Die Schiefer- und Dachziegelreste lassen den Schluß zu, daß einst vor dem Höhlen- bzw. Kircheneingang ein überdeckter Vorbau bestanden haben muß.

Im Rahmen der weiteren Ausgrabungen legte Jacob-Friesen im Bereich vor dem Eingang und im vorderen Teil der Höhle einen mittelalterlichen Körpergräberfriedhof frei. Die dabei sehr häufig festgestellte Störung älterer Männer-, Frauen- und Kindergräber durch nachfolgende Bestattungen deutet darauf hin, daß dieser dichtbelegte Friedhof längere Zeit benutzt worden sein muß. - Als Funde aus dem Körpergräberfriedhof barg Jacob-Friesen neben zerschlagenen und zerschmolzenen Metallstücken eine Bronze-Ringschnalle sowie zwei eiserne Armbrust-Bolzen.

Unter der durchschnittlich 30 cm starken Humusschicht fanden sich zahlreiche Gefäßscherben, die in die Zeit zwischen dem 13. bis 15. Jh. weisen. Daneben traten aber auch Gefäßbruchstücke aus der frühen Eiszeit auf, die erkennen ließen, daß auch während dieser vorgeschichtlichen Periode die Steinkirche - damals noch eine Spalthöhle - vom Menschen als Unterschlupf aufgesucht wurde. An Besonderheiten unter den Funden dieser ersten Fundschicht sind noch ein Münzmeisterjeton (Münze ohne Umlaufwert) aus Bronze aus dem Jahre 1604 und ein silberner, nicht ganz vollständiger Hohlpfennig, der vom Bistum Halberstadt am Ende des 13. Jh. geschlagen worden ist, zu nennen. Der Jeton wurde als Hausmarke von dem Münzmeister Heinrich Depsern, der in den Jahren 1599 bis 1612 Münzmeister in Goslar war, geschlagen. Derartige Jetons dienten zur Erinnerung an besonders wichtige Ereignisse, zugleich aber auch als "Rechenmarke".

Unter der Schicht des mittelalterlichen Körpergräberfriedhofs in 1,20 m Tiefe unter der damaligen Oberfläche stieß Jacob-Friesen innerhalb des ungestörten hellgelben Dolomitsandes auf eine tiefschwarz verfärbte 2 cm starke Holzkohle- und Ascheschicht von rd. 80 cm Durchrnesser. Ein in ihrer Mitte liegender Dolomitbrocken von 40 cm Länge, 30 cm Breite und 15 cm Dicke wurde dabei als Herdstein und einige flache Quarzitplatten als Bratenplatten angesprochen. In unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Feuerstelle fanden sich aus Feuerstein gearbeitete Werkzeuge sowie zahlreiche Splitter- und Abschlagstücke, die bei der Herstellung von Feuersteingeräten anfallen, so insbesondere eine Feuersteinklinge, kleine Feuersteinmesserchen sowie verschiedene als "Kratzer" bezeichnete Artefakte, wie auch eine sorgfältig gearbeitete Knochennadel mit durchgebohrtem Öhr.

Aufschlußreich waren die großen Mengen von Tierknochen, die das Bild jener Zeit vervollständigen. Bei der Bestimmung der Tiere konnte Jacob-Friesen u.a. folgende, sämtliche in einem kalten Klima lebende Tierarten nachweisen: Pferd, Rentier, Bison, Hermelin, Eisfuchs, Schneehase, Halsbandlemming, nordische Wühlratte, Alpenspitzmaus, Rohrschneehuhn, Alpenschneehuhn und Hecht.

9 Jahre später, im Jahre 1937, wurde an der Steinkirche eine von dem Reichsführer SS Himmler angeordnete Ausgrabung durch die SS durchgeführt, die die Suche nach einem germanischen Heiligtum zum Ziel hatte. Bei diesen nicht fachgerechten Grabungen, bei denen nach Angaben des Grabungs- und Museumsleiters a. D. K. Schirwitz aus Quedlinburg [in: "Harzverein für Geschichte und Altertumskunde", 1961] auch einige Spinnwirtel, drahtförmige Bronzereste, Wand- und Randscherben sowie derbe Henkel und Ausgußvorrichtungen von Rauhtöpfen, eine Kette aus Knochenperlen, einzelne Schläfenringe, eine rechteckige Schmuckplatte sowie eiserne Gürtelschnallen gefunden und ein sich vom Höhleneingang entlang der ostseitigen Felswand bis fast zum Beginn des vom Vorplatz abwärtsführenden Hangweges hinziehendes, in das 8. bis 13. Jh. zu datierendes, 120 Skelette umfassendes Gräberfeld entdeckt wurde, sind alle von Jacob-Friesen seinerzeit unberührt gelassenen Flächen mit erfaßt und die wesentlichen Teile des Vorhofes auf das heutige Niveau um zwischen 1 bis 3 m abgegraben worden. Die Bestattungen in diesem Körpergräberfriedhof waren durchweg - wie die zahlreichen Eisennägel bezeugten - in Holzsärgen erfolgt. Nur einige Gräber bildeten eine Ausnahme: mehrfach waren Oberkörper und Kopf des Toten mit Steinplatten umstellt worden; in einem weiteren Falle war unterhalb der Kanzel eine noch heute vorhandene Grabstätte aus dem Fels gehauen worden; der Kopf des Bestatteten ruhte in einer ausgemeißelten Nische.

Die damalige Grabungsleitung (unter K. Schirwitz und Dr. Höhne) stellte nach dem Fund dieses Skelettes die durch nichts (als lediglich den Umstand, daß ein im Bremketal oberhalb des Schwimmbades östlich abzweigender Grenzweg zwischen Realgemeindeforst und Staatsforst - Wanderweg 13 H - noch heute die Bezeichnung "Dilkhardsweg" führt) erwiesene Behauptung auf, daß es sich um die Gebeine des in einer Schlacht mit Karl dem Großen gefallenen Sachsenführers "Dinghardt" handele. Damit sollte die These bewiesen werden, daß es sich bei der Steinkirche um ein germanisches Heiligtum handele. - Das Skelett, dem die beiden Beine fehlten [s.a."Germanien", 1938], wurde später aufgrund der Anthropometrie als das einer weiblichen Person identifiziert.

Nach H. Rögener [in: "Harzkurier" v. 13. März 1981] sollen, ohne das dies von ihm näher begründet wird, die Ausgrabungsfunde dem Landesmuseum in Hannover übergeben worden sein und die Grabungsberichte angeblich im Hradschin zu Prag lagern.

Seither sind weitere Grabungen bzw. Forschungen an der Steinkirche nicht mehr erfolgt.

Aufgrund von Vergleichen mit anderen Fundplätzen weisen die Feuersteinfunde in die Epoche der ausgehenden Altsteinzeit, d.h. in das sog. Spät-Magdalenien (etwa bis 10000 v. Chr.). Die Lebensbedingungen müssen gegenüber den vorhergehenden Altsteinzeitperioden günstiger geworden sein, doch bezeugen die Tierreste, daß noch immer eine "Kaltzeit" herrschte, d.h. ein Klima, das ungefähr mit dem heutigen im nördlichen Skandinavien vergleichbar ist.

Die Steinkirche hat während der Jungpaläolithischen Periode (10000 bis 8000 v. Ch.) den Menschen nicht als ständiger Wohnplatz gedient. Wahrscheinlicher ist, daß eine Gruppe aus dem südwesteuropäischen Bereich stammender Rentierjäger auf der Jagd in der Felsenhöhle am Steinberg für eine gewisse Zeit gerastet und sie zu ihrem vorübergehenden Standort gemacht hat. Daß sich jene umherschweifenden Jäger gerade diesen Platz als vorübergehenden Siedlungsplatz ausgewählt haben, überrascht nicht, denn mit Vorliebe haben sie Stellen ausgewählt, an denen sich schmale Täler zu einem Wiesengrund erweitern und in weitere Talböden hinausführen.

Die Steinkirche bei Scharzfeld und die Baumannshöhle bei Rübeland sind die beiden einzigen Harzhöhlen, die bisher den Beweis geliefert haben, daß der Mensch der zu Ende gehenden Altsteinzeit sich im Harzland wenigstens vorübergehend aufgehalten hat.

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